Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

380 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
hessen ganz auf den Verkehr mit dem Norden angewiesen, Starkenburg 
mehr auf den Süden. In beiden Landschaften hatte sich das städtische 
Leben wenig entwickelt; weder die Reichsstädte Friedberg und Wimpfen, 
noch die lieblichen Städtchen an den Rebenhängen der Bergstraße be- 
saßen ein starkes Bürgertum, das dem Beamtenheere des Großherzogs 
mit Selbstgefühl begegnen konnte. In den einsamen Waldtälern des 
Odenwaldes und auf den unwirtlichen Höhen des Vogelsbergs, ja selbst 
in der reichen Ebene der Wetterau bewahrten sich die Bauern noch manchen 
ehrenfesten altväterischen Brauch. Die Untertanen der zahlreichen Media- 
tisierten, der Erbach, Isenburg, Solms, Leiningen hielten noch in alter 
Treue zu den angestammten kleinen Dynasten. Namentlich die Graf- 
schaft Erbach blieb noch eine kleine Welt für sich. Wenn die Odenwälder 
alljährlich zu dem beliebten Volksfeste, dem Eulbacher Markte, zusammen- 
strömten, dann sprachen sie nur von dem Stifter des Festes, dem kunst- 
sinnigen Grafen Franz, dessen Sammlungen im Erbacher Schlosse das 
Darmstädter Museum weit überboten; die hessische Herrschaft verwünschte 
jedermann, weil sie zunächst nur doppelte Steuerlast gebracht hatte. 
Wie sollte sich der neugewonnene überrheinische Landstrich, der nun 
den abgeschmackten Namen Rheinhessen erhielt, an diese patriarchalischen 
Zustände gewöhnen? Dort war der Bauer fast noch städtischer als in 
der bayrischen Pfalz, fast noch eifriger auf das „Profitieren“ bedacht, der 
Bürger durch den Weltverkehr seines Stromes an große Verhältnisse 
gewöhnt. Verächtlich blickte der Mainzer auf die traurige neue Haupt- 
stadt in der Sandebene am Darmfluß und spottete über ihre bedienten- 
hafte Bevölkerung, über den einen Referendar, der mittags in ihrer 
Rheinstraße wimmelte. Von den großen Tagen der Vorzeit, von der 
Macht der alten Reichserzkanzler, von der Bürgergröße der Walpoden 
und der Gensfleisch war freilich im goldenen Mainz kaum noch die Rede. 
Die Bischofsstadt des heiligen Bonifazius, die sich einst so gern die eigent- 
liche Tochter der römischen Kirche genannt, blieb ein Menschenalter hin- 
durch die radikalste und die am eifrigsten französisch gesinnte Stadt des 
Rheinlands. Das Illuminatentum und die Sittenlosigkeit der letzten 
kurfürstlichen Zeiten hatten hier einen leichtsinnigen, zungenfertigen Uber- 
mut groß gezogen, der in dem wüsten Treiben der republikanischen 
Klubisten seinen Fasching feierte und erst während der gestrengen napo- 
leonischen Herrschaft verstummte. Jetzt aber, unter einer zugleich schwachen 
und verhaßten Regierung trat er wieder keck hervor. Vor kurzem erst 
hatte die Bürgerschaft die deutschen Eroberer als Befreier begrüßt und 
die abziehenden Franzosen verwünscht, die in dem geschändeten Dome und 
fast auf jeder Gasse die Spuren ihrer Roheit zurückließen. Bald war das 
alles vergessen. Man dachte nur noch an die Verdienste des trefflichen 
Präfekten Jean Bon St. André, an die mannigfache Gunst, welche der 
Imperator seiner deutschen Lieblingsstadt erwiesen, und betrachtete den
	        
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