Thüringische Kleinstaaterei. 399
vertreib; glücklich der Hof, der unter seinen Prinzen einen „durch—
lauchtigen achtjährigen Prediger“, wie Wilhelm Ernst von Weimar, auf—
weisen konnte. Späterhin drangen mit der weltlichen Bildung auch
viele Sünden des höfischen Absolutismus ein. Grobe Sittenlosigkeit
war unter den ehrbaren Ernestinern selten, aber die Soldatenspielerei
und der Menschenverkauf nahmen arg überhand, und der allwissende
Bevormundungseifer der neuen fürstlichen Vollgewalt verstieg sich in
dieser kleinen Welt oft bis zum Aberwitz. Noch im fridericianischen Zeit-
alter erfand Ernst August von Weimar die berühmten mit kabbalistischen
Zeichen bemalten Feuerteller, welche in die Flammen geworfen jeden
Brand sofort ersticken sollten, und zwang alle seine Gemeinden zur An-
schaffung dieses Löschgeräts.
Erst durch Karl August kam wieder ein freierer Zug in das thürin-
gische Leben. Zum dritten Male war die Mitte Deutschlands der warme
Herd unserer nationalen Kultur. Wieder wie in den Tagen Hermanns
des Milden rief eine hochherzige Gastfreundschaft die Helden deutscher
Dichtkunst aus Nord und Süd herbei, und herrlicher als einst der Ruhm
der Wartburg leuchtete jetzt der Name der kleinen Stadt an der Ilm:
O Weimar, dir fiel ein besonder Los,
Wie Bethlehem in Juda klein und groß!
Und es war wirklich „vorteilhaft, den Genius bewirten“, wie Goethe
seinem fürstlichen Freunde gesagt. Denn obwohl die großen Gäste Thü-
ringens der ganzen Nation angehörten und in ihrer kleinen Umgebung
niemals völlig heimisch wurden, so ließen sie doch der Landschaft, die sie
so traulich aufgenommen, das Gastgeschenk des Genius zurück. In der
kurzen Blütezeit der Universität Jena wuchs eine neue Generation von
tüchtigen Lehrern und Beamten auf. Die meisten der kleinen Höfe und
ein großer Teil des Adels suchten nach dem Maße ihrer Kräfte mit der
jungen Literatur Schritt zu halten; wie oft ist Goethe zu dem gothaischen
Minister Frankenberg hinübergefahren um sich in der guten Schmiede zu
Siebeleben an geistreicher Geselligkeit zu erfreuen. In Gotha lehrten zur
Zeit des Wiener Kongresses Döring, Rost und Wüstemann am Gym-
nasium, Stieler begann seine kartographischen Arbeiten und bald nach-
her schlug Perthes dort seine große Buchhandlung auf. Auch dem An-
sehen des Ernestinischen Hauses in der Welt brachte, die Wirksamkeit des
großen menschlichen Fürsten, wie Humboldt ihn nannte, bleibenden Ge-
winn; die halbvergessene ruhmreiche Dynastie gewann sich von neuem
die dankbare Liebe der Nation und fühnte in der edelsten Weise die noch
immer nicht verschmerzten Schläge des Schmalkaldischen Krieges.
Die unausrottbaren Gebrechen der Kleinstaaterei konnten freilich durch
den literarischen Ruhm nicht geheilt werden. Uber die altständischen
Verfassungen dieser kleinen Territorien gingen die Stürme der napoleo-
nischen Kriege spurlos dahin; selbst Herzog August von Gotha, der ein-