Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

490 II. 8. Der Aachener Kongreß. 
Bei der Ausführung seiner Vorschläge im einzelnen verriet der 
Ratgeber ein Maß staatsrechtlicher Kenntnisse, welches jedem preußischen 
Auskultator im Referendar-Examen das Genick gebrochen hätte: er kannte 
weder die neue Provinzialeinteilung des preußischen Staates noch dessen 
althistorische Bestandteile und hatte offenbar auch das Studium der 
Landkarte nicht für standesgemäß gehalten. Daher erbaute er sich rein 
aus der Phantasie heraus sieben preußische Provinzen — darunter die 
Marken Brandenburg mit Pommern und das Herzogtum Westfalen 
mit Berg; hinsichtlich der Provinzialverwaltung faßte er seine Weisheit 
in dem einen Satze zusammen: „jede Provinz hat eine Obere und Untere 
verwaltende Behörde“. Noch erstaunlicher fast war die Neuheit der poli— 
tischen Erwägungen, mit denen er seine Vorschläge begründete. Selbst die 
strengen Altkonservativen in Berlin verbargen sich doch nicht das eine 
handgreifliche Bedenken, das gegen die Provinzialstände sprach: acht oder 
zehn Provinziallandtage ohne das Gegengewicht eines Reichstags konnten, 
wenn sie allzu mächtig wurden, leicht die Einheit des Staates, vornehm— 
lich des Heeres gefährden; riefen doch die Polen schon längst nach einer 
Provinzialarmee für das Großherzogtum Posen. Metternich dagegen 
stellte die unglaubliche Behauptung auf, ein preußischer Reichstag werde 
die Armee in „sieben getrennte Volkshaufen“ auflösen. Eine zweite Denk- 
schrift empfahl sodann die Aufhebung der Burschenschaft, die gänzliche 
Beseitigung der Turnerei — dieser Eiterbeule, wie Gentz zu sagen pflegte 
— endlich gemeinsame Anträge der beiden Großmächte am Bundestage 
zur Beschränkung der Presse. 
So arge Blößen sich die Verfassungsdenkschrift gab, ein geschickter 
diplomatischer Schachzug war sie doch. Metternich wußte, wie lebhaft 
der König für die Kriegstüchtigkeit seines Heeres besorgt war, und wieder- 
holte daher in seiner Arbeit mit feierlichem Nachdruck immer und immer 
die ernste, leider keineswegs grundlose Warnung: die liberale Partei hasse 
die stehenden Heere, sie werde nicht ruhen, bis der preußische Reichstag 
die Armee in eine Volksmiliz umgewandelt habe. Er gab sich der Hoff- 
nung hin, daß seine Worte ihr Ziel nicht verfehlen würden. Harden- 
berg aber wähnte der Politik Metternichs eine Strecke weit folgen zu 
können um sich dann von ihr nach Gutdünken wieder zu trennen. Alles 
was sie nur wünschte wollte er der Hofburg bewilligen: strenge Maßregeln 
gegen die Turner, die Burschen, die Presse, selbst gegen die preußischen 
Beamten. Nur Eines sollte sie ihm nicht antasten: sein Verfassungswerk. 
Der greise Staatsmann ahnte nicht, daß er selber in Wien schon längst 
von den einen zum alten Eisen geworfen, von den anderen als Häupt- 
ling der preußischen Jakobiner verdächtigt wurde. Half er jetzt die Schleuse 
hinwegziehen vor den hoch aufgestauten Fluten der Reaktion, dann konnten 
sie leicht auch ihn selbst und seine Verfassungspläne mit hinwegschwemmen. 
 
	        
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