492 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
Aber kaum war sein Besuch bei dem Staatskanzler ruchbar geworden,
so sah er sich von den Turngenossen mit wütenden Vorwürfen über—
häuft und ohne daß man ihn nur angehört hätte aus den Kreisen der
Patrioten ausgeschlossen; sein tagelang konnte er den Makel dieses un—
gerechten Verdachts nicht mehr ganz von sich abwaschen, selbst mit seinem
alten Freunde Schleiermacher kam er nie wieder auf guten Fuß. So
drängte sich ein finsteres, grund- und zielloses Mißtrauen trennend zwi—
schen dies Volk und diese Krone, die soeben erst in ritterlicher Treue ge—
meinsam einen heiligen Kampf durchgefochten; ein neuer Krieg hätte mit
seinem frischen Windzuge die Wolken des Unmuts leicht zerteilen können,
in der dicken Luft der trägen Friedenstage nahm die Verdrossenheit mit
jedem Tage zu.
Mittlerweile hatte der Staatskanzler schon den ersten Schritt getan
um die Versprechungen einzulösen, die er in Aachen seinem zweifelhaften
österreichischen Freunde gegeben. Am 11. Januar 1819 überraschte Har-
denberg das Staatsministerium durch die Zusendung einer königlichen
Kabinettsordre, eines umfänglichen Aktenstücks, das auf neunzehn Folio-
seiten die wohlwollenden Absichten des Monarchen, aber auch seine schweren
Besorgnisse darlegte. Bisher, so erklärte der König, habe er sich immer
auf die so vorzüglich bewährte Treue und Hingebung seiner Nation ver-
lassen; jetzt aber erfordere seine Regentenpflicht „kräftige Maßregeln zu
ergreifen“ wider den Geist der Unruhe, der durch die lange politische
Spannung der Kriegsjahre erweckt, noch immer fortwirke und sich in
maßloser Unzufriedenheit, im „leidenschaftlichen Verfolgen unbestimmter
Ziele“ äußere.
Die Ordre schilderte sodann, wie der persönliche und der Partei-
streit unter den Beamten überhandgenommen habe, das wegwerfende Ab-
sprechen über den Dienst, selbst mit Verletzung des Amtsgeheimnisses
immer häufiger werde — ein wohlberechtigter Vorwurf, denn jedermann
wußte, daß viele der Zeitungsartikel, welche die Gebrechen des preußischen
Staates mit leidenschaftlicher Ubertreibung besprachen, aus den Federn
preußischer Beamten herrührten. „Das Ministerium weiß", fuhr der
König fort, „daß meine Absicht ist, eine angemessene ständische Verfassung
zu geben;" dazu gehört aber, „daß die Verwaltung Achtung genieße".
Auch das Ministerium selbst trage einige Schuld; der Ministerrat ver-
sammle sich zu selten, der Geschäftsgang werde schleppend, „ein Mini-
sterium muß in den Hauptgrundsätzen einig sein“. Darauf wendet sich
die Ordre zu der falschen Richtung der öffentlichen Erziehung, welche die
Jugend zu früh zur Teilnahme am öffentlichen Leben veranlasse. „Alles
was sonst nur Unfug junger Leute war, trägt jetzt das Gepräge der
Sucht in die Welthändel einzugreifen, an sich.“ Der König fordert
demnach strengere Uberwachung des Unterrichtswesens, sorgsame Aus-
wahl der Lehrer für die Universitäten; der Turnunterricht soll mit den