Vertagung der Kammern. Varnhagen. 519
an sich nehmen und wenn der Landtag darauf nicht eingehe, die Ver—
fassung für gebrochen erklären; dann könnten durch Vermittelung des
Bundestages beratende Stände eingeführt werden. Der Großherzog aber
wies den Plan vorderhand zurück, er hoffte mit Hilfe der Beschlüsse, die
soeben in Karlsbad verabredet wurden, seinen Landtag zu bändigen. —
Das also war das Ergebnis der ersten Jahre unseres konstitutionellen
Lebens. In Württemberg hatte ein harter Streit mit den Landständen
vorläufig die Diktatur des Königs herbeigeführt; in Bayern rief die Krone
den Beistand der Großmächte gegen ihren Landtag an; in Baden gingen
Fürst und Stände in Unfrieden auseinander, und die Volksvertreter
lehnten sich wider die Bundesakte auf. Angesichts solcher Tatsachen
begann der König von Preußen ernstlich zu bezweifeln, ob sein so mühsam
zusammenwachsender Staat dem rasch bereuten Vorgehen Bayerns folgen
dürfte. König Friedrich Wilhelm IV. sagte die volle Wahrheit, als er
bald nach seiner Thronbesteigung versicherte, sein Vater sei durch die
konstitutionellen Erfahrungen der deutschen Nachbarstaaten bewogen worden,
das Versprechen vom Mai 1815 in reifliche Erwägung zu ziehen. —
Noch bevor das ungewohnte Schauspiel dieser parlamentarischen
Kämpfe zu Ende ging, war ein Ereignis eingetreten, das alle Höfe mit
panischem Schrecken betäubte und zu einem Wendepunkt in der Geschichte
des Deutschen Bundes werden sollte. Am 23. Mai 1819 wurde Kotzebue
durch den Jenenser Burschenschafter Sand ermordet. Freund und Feind
empfanden sofort, daß in der blutigen Tat nicht die Ruchlosigkeit eines
Einzelnen, sondern der lang angesammelte Parteihaß der radikalen Sekten
der Studentenschaft sich entladen hatte. Der dämonische Reiz des Un-
begreiflichen verführt die Welt leicht, in den Urhebern schwerer Verbrechen
einen Zug von Größe zu suchen; das Leben dieses Mörders aber bot zwar
der krankhaften Züge genug und manchen Anlaß zu menschlichem Mitleid,
bewunderungswert war nichts an ihm als jene finstere, gesammelte
Willenskraft, die den Fanatiker macht.
Karl Sand war der Sohn eines vormals preußischen Beamten und
im Fichtelgebirge unter den treuen brandenburgischen Franken aufge-
wachsen, in einem Lande, wo jedermann über die neue Ordnung der
deutschen Dinge grollte. Das starre Auge und die niedere, von langem,
dunklem Haar umrahmte Stirn verrieten einen beschränkten Geist, der
bei eisernem Fleiße nur langsam faßte und dann die schwer errungene
Erkenntnis mit zähem Eigensinn gegen jede Einrede behauptete. Eine
tugendstolze Mutter erfüllte den Sinn des Knaben schon frühe mit un-
kindlicher Selbstgerechtigkeit. Also vorbereitet trat er als Student in jene
teutonischen Kreise, wo die grüne Jugend sich so zuversichtlich im Bewußt-