Der Bundestag und die Verkehrsfreiheit. 615
Bundestag alles getan, um die Schwärmer zu enttäuschen. Die Bericht—
erstattung über Lists Bittschrift wurde dem Hannoveraner Martens über—
tragen, der gleich den meisten dieser „deutschen Großbritannier“ die eng—
lische Handelsherrschaft auf deutschem Boden hoch erfreulich fand. Mit
dem ganzen Feuereifer polizeilicher Seelenangst fragte er zunächst, woher
dieser Verein das Recht nehme, sich zum Vertreter des deutschen Handels—
standes aufzuwerfen, und überließ es den hohen Regierungen, auf ihre be—
teiligten Untertanen ein wachsames Auge zu richten. Zur Sache selbst
brachte er nicht viel mehr vor als eine drastische Schilderung der unge—
heueren Schwierigkeiten, welche sich, seit die deutschen Staaten souverän
geworden, der Handelseinheit entgegenstellten (24. Mai). Einige Bundes-
gesandte wünschten mindestens die Einsetzung einer Kommission; aber dann
hätten ja die Bittsteller wähnen können, dieser Schritt sei auf ihre Ver—
anlassung geschehen!“) Um einer so frevelhaften Mißdeutung vorzubeugen,
beschloß die Bundesversammlung nur, daß man sich späterhin einmal mit
dem Art. 19 beschäftigen wolle. Einige Wochen nachher (22. Juli) erinnerten
die ernestinischen Höfe den Bundestag nochmals an den unglücklichen Ar-
tikel; Lists Freund E. Weber und die Fabrikanten des Thüringer Waldes
ließen ihnen keine Ruhe. Diesmal ergingen sich Baden, Württemberg, beide
Hessen und die Ernestiner in wohlgemeinten, aber auch sehr wohlfeilen
Reden zum Preise der deutschen Verkehrsfreiheit und begeisterten die Ver-
sammlung dermaßen, daß sie nunmehr wirklich beschloß, nach den Ferien,
also 1820, solle eine Kommission eingesetzt werden. Das war die Hilfe,
welche Deutschlands Handel in Frankfurt zu erwarten hatte. Der preußische
Gesandte aber fand es mit Recht unbegreiflich, daß diese Versammlung sich's
zutraue, so schwierige Arbeiten auch nur in die Hand zu nehmen.)
Trotz solcher Erfahrungen sollten noch viele Jahre vergehen, bis die
Unausführbarkeit der leeren Versprechungen des Art. 19 allgemein erkannt
wurde. Mit großer Hartnäckigkeit hielt namentlich die badische Regierung
an dem Traumbilde des Bundeszollwesens fest; ihr langgestrecktes, auf die
Durchfuhr angewiesenes Land litt unter dem Jammer der Binnenmauten
besonders schwer, und nicht ohne Besorgnis betrachtete Minister Berstett
die wachsende Erbitterung im Volke. Der beschränkte Mann hoffte durch
wirtschaftliches Gedeihen die Nation mit ihrer schimpflichen Zersplitterung
zu versöhnen, ihr „einen materiellen Ersatz für den Verlust mancher chimä-
rischen, aber liebgewordenen Ideen“ zu geben. Darum empfahl er auf den
Karlsbader Konferenzen in einer langen Denkschrift (15. Aug.) die Ein-
führung eines Bundes-Douanensystems, das für 30 Millionen Menschen
freien Verkehr schaffen müsse; über die große Frage, wie es möglich sein
sollte, Hannover, Holstein, Luxemburg, Deutsch-Osterreich einem natio-
*) Berkheims Bericht, Frankfurt 25. Juni 1819.
*“) Goltzs Bericht, 20. Juli 1819.