Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Communalsteuern. 97 
zogen. Hielt diese Entwicklung an, stiegen die Zuschläge allgemach bis 
zur Höhe der Staatsabgaben oder gar darüber hinaus, dann mochte der 
Staat leicht dahin gelangen, daß er die Klassensteuer, seinen einzigen 
sicheren Nothbehelf in Kriegszeiten, nicht mehr erhöhen konnte. Vorder- 
hand hielten sich die Communalzuschläge noch in bescheidenen Grenzen, 
und Niemand ahnte, welchen abschüssigen Weg man betreten hatte. 
Nur der Hauptstadt, die unter schweren Einquartierungslasten litt, 
hatte der Staat noch eine eigenthümliche Einnahmequelle eröffnet. Berlin 
erhob seit 1815 eine Liegenschaftssteuer, die von den Hausbesitzern mit 
4 Procent, von den Miethern mit 8 ¼ Procent bezahlt wurde. Auch als 
sieben Jahre später die Abgabe der Miether auf 6⅜⅝ Procent des Mieth- 
zinses herabgesetzt wurde, blieb dieser Vertheilungsmaßstab noch immer höchst 
unbillig, jedoch er beruhte auf einem alten schlechten Berliner Herkommen, 
und von dem heiligen Gewohnheitsrechte ging keine preußische Commune 
freiwillig ab. Zum Glück war der Gesammtbetrag noch sehr niedrig, 
denn von den 41,047 Miethern der Hauptstadt entrichtete die größere 
Hälfte (20,743) im Jahre 1824 nur 50 Thlr. Miethe oder weniger, und 
nur für 115 Wohnungen wurden 1000 Thlr. und darüber gezahlt. Wenn 
aber dereinst die großstädtische Wohnungsnoth, die schon in Paris ihre 
Opfer forderte, auch über Berlin hereinbrach, dann mußte die Miethsteuer 
zum Fluche der Armen werden. Also ward damals arglos der Grund 
gelegt für jene argen Mißstände des preußischen Communalabgabenwesens, 
welche heute zu der Milde und Billigkeit unserer Staatsbesteuerung einen 
so grellen Gegensatz bilden. 
Die Finanzreform war beendet, und sie war mit allen ihren Mängeln 
ein gutes und tüchtiges Werk, wenngleich sie die blinden Verehrer der 
altpreußischen Ordnung ebenso wenig befriedigte wie die doktrinären Ver- 
theidiger eines wissenschaftlich volllommenen Abgabensystems. Diese Groß- 
macht, die unter den Schlägen des Krieges am schwersten gelitten, hatte mit 
tapferem Entschluß ihren Credit wiederhergestellt, während das reichere, 
besser geschonte Oesterreich noch jahrelang vor dem Abgrunde des Bankrotts 
stand; sie hatte, obwohl sie noch immer das Königreich der langen Grenzen 
war, sich ein zugleich freies und schützendes Zollwesen gebildet, das alle 
die wohlabgerundeten anderen Mächte beschämte; sie hatte endlich ein 
völlig neues Abgabensystem geschaffen, das die Steuerkraft des verarmten 
Volkes an allen faßbaren Stellen packte ohne doch in die unmäßige Zer- 
splitterung der alten Accise zu verfallen, das dem Staate sein Dasein, 
seine Wehrbarkeit sicherte, ohne die Volkswirthschaft in ihrem gesunden 
Wachsthum zu hemmen, und schon nach wenigen Jahren selbst von den 
grollenden Sachsen und Rheinländern als erträglich anerkannt wurde. 
Und das Alles dankte Preußen zunächst dem greisen Kanzler, den die 
unfruchtbare Wiener Staatsweisheit so tief verachtete. Am Rande des 
Grabes, von aller Welt als altersschwach verspottet, war Hardenberg 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III.
	        
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