Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Verfassungspläne. 99 
eine Großmacht mit gesetzlich geschlossener Staatsschuld der unberechen— 
baren Zukunft sicher entgegengehen? In ruhiger Zeit mochte ihr Credit 
sich halten; brachen wieder Stürme herein, dann war, nach so bestimmten 
öffentlichen Verheißungen, keine Anleihe mehr möglich ohne Reichsstände. 
Ein gefährlicher Angriff der Landstände wider die Einheit des Staates 
stand jetzt schwerlich mehr zu befürchten, da die Krone diese letzten fünf 
Jahre ihrer Vollgewalt weislich benutzt hatte um fast auf allen Gebieten 
der Gesetzgebung eine Reform durchzusetzen, die nur ein diktatorischer Wille 
vollenden konnte. Die Heeresverfassung war nunmehr gesichert, desgleichen 
die Eintheilung der Provinzen und die neuen Formen ihrer Verwaltung, 
das System der Abgaben und Zölle, das Staatsschuldenwesen und der 
Unterhalt für das königliche Haus; auch von den Verhandlungen über 
die Rechte der katholischen Kirche, welche Niebuhr in Rom führte, sah 
Hardenberg mit seinem feinen diplomatischen Blicke voraus, daß sie bald 
ein leidliches Ergebniß bringen würden, obwohl der schwarzsichtige Gesandte 
beständig das Schlimmste fürchtete.“) Kam dies Werk noch unter Dach, 
wurde auch die Gemeinde- und Kreis-Ordnung nach Hardenberg's Plan 
durch die Krone allein neu gestaltet und endlich auch die Verfassung selbst 
allein durch den König verliehen, dann waren in den nächsten Jahren schwere 
politische Kämpfe kaum zu erwarten. 
Nach menschlichem Ermessen ging Preußen zunächst einer jener stillen 
Epochen entgegen, welche sich nach den großen Zeiten der Reform überall 
einstellen. Sein erster Landtag, dem ja nur berathende Befugnisse zustehen 
sollten, hätte vermuthlich ein unscheinbares Dasein geführt und sich begnügen 
müssen einzelne Mißgriffe der neuen Reformgesetze zu rügen und zu ver— 
bessern; so konnte er vielleicht eine stille Lehrzeit durchlaufen, wie sie 
diesem unerfahrenen Volke gerade noth that, Ostpreußen und Rheinländer, 
Märker und Westphalen in gemeinsamer nüchterner Arbeit an einander 
gewöhnen, aus dem verbissenen Particularismus der Stände und der Pro— 
vinzen allmählich eine kräftige Staatsgesinnung herausbilden und durch 
sein Dasein schon die verstimmte öffentliche Meinung in Deutschland 
beschwichtigen. In solchem Lichte sah der Staatskanzler die nächste Zukunft 
Preußens. Wer darf heute mit Sicherheit sagen, ob die Dinge wirklich 
so harmlos verlaufen, ob die abstrakten, staatsfeindlichen Gedanken des 
neufranzösischen Liberalismus nicht auch in den preußischen Landtag ein- 
gedrungen wären? Eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, daß 
Hardenberg das Rechte traf. Was den süddeutschen Staaten leidlich gelang 
war für Preußen nicht unmöglich; ein preußischer Landtag zur rechten 
Zeit berufen konnte der Krone die Schmach des Jahres 1848 ersparen. 
Auch der König schien des langen Zauderns müde. Nachdem er schon 
durch die Cabinetsordre vom 17. Januar das Staatsministerium an die 
  
*) Hardenberg's Tagebuch, 19. Dec. 1820. 
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