Verfassungspläne. 99
eine Großmacht mit gesetzlich geschlossener Staatsschuld der unberechen—
baren Zukunft sicher entgegengehen? In ruhiger Zeit mochte ihr Credit
sich halten; brachen wieder Stürme herein, dann war, nach so bestimmten
öffentlichen Verheißungen, keine Anleihe mehr möglich ohne Reichsstände.
Ein gefährlicher Angriff der Landstände wider die Einheit des Staates
stand jetzt schwerlich mehr zu befürchten, da die Krone diese letzten fünf
Jahre ihrer Vollgewalt weislich benutzt hatte um fast auf allen Gebieten
der Gesetzgebung eine Reform durchzusetzen, die nur ein diktatorischer Wille
vollenden konnte. Die Heeresverfassung war nunmehr gesichert, desgleichen
die Eintheilung der Provinzen und die neuen Formen ihrer Verwaltung,
das System der Abgaben und Zölle, das Staatsschuldenwesen und der
Unterhalt für das königliche Haus; auch von den Verhandlungen über
die Rechte der katholischen Kirche, welche Niebuhr in Rom führte, sah
Hardenberg mit seinem feinen diplomatischen Blicke voraus, daß sie bald
ein leidliches Ergebniß bringen würden, obwohl der schwarzsichtige Gesandte
beständig das Schlimmste fürchtete.“) Kam dies Werk noch unter Dach,
wurde auch die Gemeinde- und Kreis-Ordnung nach Hardenberg's Plan
durch die Krone allein neu gestaltet und endlich auch die Verfassung selbst
allein durch den König verliehen, dann waren in den nächsten Jahren schwere
politische Kämpfe kaum zu erwarten.
Nach menschlichem Ermessen ging Preußen zunächst einer jener stillen
Epochen entgegen, welche sich nach den großen Zeiten der Reform überall
einstellen. Sein erster Landtag, dem ja nur berathende Befugnisse zustehen
sollten, hätte vermuthlich ein unscheinbares Dasein geführt und sich begnügen
müssen einzelne Mißgriffe der neuen Reformgesetze zu rügen und zu ver—
bessern; so konnte er vielleicht eine stille Lehrzeit durchlaufen, wie sie
diesem unerfahrenen Volke gerade noth that, Ostpreußen und Rheinländer,
Märker und Westphalen in gemeinsamer nüchterner Arbeit an einander
gewöhnen, aus dem verbissenen Particularismus der Stände und der Pro—
vinzen allmählich eine kräftige Staatsgesinnung herausbilden und durch
sein Dasein schon die verstimmte öffentliche Meinung in Deutschland
beschwichtigen. In solchem Lichte sah der Staatskanzler die nächste Zukunft
Preußens. Wer darf heute mit Sicherheit sagen, ob die Dinge wirklich
so harmlos verlaufen, ob die abstrakten, staatsfeindlichen Gedanken des
neufranzösischen Liberalismus nicht auch in den preußischen Landtag ein-
gedrungen wären? Eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, daß
Hardenberg das Rechte traf. Was den süddeutschen Staaten leidlich gelang
war für Preußen nicht unmöglich; ein preußischer Landtag zur rechten
Zeit berufen konnte der Krone die Schmach des Jahres 1848 ersparen.
Auch der König schien des langen Zauderns müde. Nachdem er schon
durch die Cabinetsordre vom 17. Januar das Staatsministerium an die
*) Hardenberg's Tagebuch, 19. Dec. 1820.
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