106 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's.
Ueberstürzung bewältigt, und am 7. August konnte sie ihre Pläne für die
Verfassung der Kreise, Städte und Landgemeinden vorlegen.“) Die Arbeit
war wesentlich das Werk des Vorsitzenden Friese; manche seiner Vorschläge
von 1811 kehrten in den neuen Entwürfen fast wörtlich wieder. Schon
damals hatte er sich gegen die Ortsobrigkeit der Gutsherren ausgesprochen.
Liberal durch und durch, erkannte er in dem schroffen Gegensatze der
Stände einen Hauptgrund des Unglücks von 1806, in der Beseitigung
aller wirthschaftlichen und politischen Privilegien des Grundadels die Vor-
bedingung eines freien Gemeindewesens.
In der That hatte der Staatsrath mittlerweile die Agrargesetzgebung
von 1811 rüstig weiter geführt. Am 25. Sept. 1820 erschien ein in ein-
zelnen Bestimmungen fast allzu radicales Edikt, das die Ablösung der
bäuerlichen Lasten für die Länder zwischen Elbe und Rhein regelte. Darauf
folgte am 7. Juni 1821 nach langen und schwierigen Berathungen“) das
tief einschneidende Gesetz über die Gemeinheitstheilungen, die letzte große
Reform der Hardenbergischen Epoche. Seit Friedrich der Große die Auf-
hebung der Gemeinheiten begonnen hatte, waren schon über 2½ Milll.
Morgen Gemeindeländereien aufgetheilt; jetzt wurden die Auseinander-
setzungen in größerem Umfang weiter geführt und unter die Aufsicht der
Generalcommissionen gestellt, die bereits seit 1811 mit der Leitung der
Ablösungen betraut waren. Die neue Gesetzgebung ging von dem ver-
wegenen Satze aus, daß jede Gemeinheitstheilung bis auf erbrachten
Gegenbeweis als förderlich für die Landescultur angesehen werden müsse,
andererseits bot sie volle Gewähr für ein streng rechtliches Verfahren, da
die Generalcommissionen richterliche Beisassen erhielten und mit den Befug-
nissen der Gerichtscollegien ausgestatttt wurden. Es war ein kühner
Gewaltstreich, doch er ergab sich so nothwendig aus den Bedürfnissen des
Landbaus, daß nach und nach fast alle deutsche Staaten, Württemberg
erst im Jahre 1854, dem Beispiele Preußens folgten. Und auch diesmal
ward offenbar, wie hoch das Beamtenthum noch über der wirthschaftlichen
Bildung des Volkes stand.
Von allen Seiten regte sich der Unwille. Nicht blos Marwitz und
seine Freunde wetterten wider die buchgelehrten Generalcommissionen und
beschuldigten den Staat der Volksverführung, wenn einmal ein schlaues
Bäuerlein, das seinen Acker weit vom Dorfe angewiesen erhielt, sich den
Segen der neuen Feuerversicherung zu nutze machte und sein Haus an-
zündete. Auch die Bauern selbst, die früher so oft geklagt hatten: „viel
Hirten, übel gehütet!“ widersetzten sich häufig der Auftheilung der Gemeinde-
weiden und erschwerten den Behörden die Arbeit durch mißtrauischen
*) Entwürfe der Landgemeinde-, Städte= und Kreisordnung, nebst Erläuterungen;
Begleitschreiben vom 7. Aug. 1820. S. Beilage 10.
**) Protocolle des Staatsraths, 22. Mai 1821.