Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

4 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
gutherzigen Vaters obenauf kommen würde? Der junge Fürst war ein 
entschiedener Gegner der Karlsbader Beschlüsse; sein ganzes Wesen em- 
pörte sich dawider, die „freisinnige, volksthümliche, teutsche“ Gesinnung, 
deren er sich so gern rühmte, und der Stolz auf die Souveränität des 
Hauses Wittelsbach. Man wußte in Berlin, daß Baiern und Württem- 
berg fortan auf der Hut waren; beide Höfe hatten ihren Bevollmäch- 
tigten die Weisung ertheilt, auf den bevorstehenden Wiener Minister- 
berathungen nichts zu bewilligen, was der Landesverfassung zuwiderliefe. ) 
Das rücksichtslose Gebahren der beiden Großmächte in Karlsbad hatte 
selbst die hochconservativen kleinen Höfe des Nordens verstimmt; sogar 
der greise, dem Hause Oesterreich so treu ergebene König von Sachsen 
äußerte sich unzufrieden über die geringschätzige Behandlung des Bundes- 
tags. Das Alles mahnte zur Vorsicht, und obgleich Hardenberg die An- 
griffe des Grafen Kapodistrias glücklich abgeschlagen hatte, so hielt er doch 
für rathsam, den Argwohn der russischen Staatsmänner nicht noch mehr 
zu reizen, ihnen keinen Vorwand für geheime Zettelungen in Deutsch- 
land zu bieten. Sobald General Schöler meldete, daß der Petersburger 
Hof den Wiener Ministerberathungen mit lebhafter Besorgniß entgegen- 
sehe, ließ Bernstorff sogleich begütigend antworten, man beabsichtige in 
Wien durchaus keine Aenderung, sondern nur die Ausführung und Ent- 
wicklung der Bundesakte.) 
Aber auch Preußens eigenes Interesse schien dem Staatskanzler nach 
den Erfahrungen der jüngsten Wochen ernstlich gefährdet, wenn man den 
in Teplitz eingeschlagenen Weg weiter verfolgte. Dort hatte Hardenberg 
die Hand geboten zu einer Erweiterung der Befugnisse des Bundes, 
welche dem völkerrechtlichen Charakter der Bundesverfassung zuwiderlief 
und ohne eine selbständige Centralgewalt sich kaum behaupten ließ. In- 
zwischen war er zu der Einsicht gelangt, daß er selbst die nächste und 
wichtigste Aufgabe seiner deutschen Politik, die Aufrechterhaltung des neuen 
Zollsystems nur durchführen konnte, wenn ihn die Bundesgewalt nicht 
durch willkürliche Eingriffe störte. „Besonders — so schrieb er, als er 
dem Grafen Bernstorff mit Genehmigung des Königs seine Weisungen 
für die Wiener Versammlung ertheilte — besonders sind es die kleinen 
Staaten, welche oft, von einem falschen und anmaßlichen Gefühl ihrer 
Souveränität verleitet, in nothwendigen Einrichtungen der großen Staaten 
eine Verletzung ihrer Gerechtsame finden.“ Der erste bescheidene Versuch 
das preußische Zollgebiet zu erweitern hatte die kleinen Nachbarn alle- 
sammt in Harnisch gebracht; kein Zweifel, daß sie in Wien versuchen 
würden, durch einen Beschluß der Bundesgesammtheit das preußische Zoll- 
gesetz zu vernichten. Durfte Preußen diesen Gegnern selber die Waffen 
  
*) Zastrow's Bericht, München 17. Nov.; Küster's Bericht, Stuttgart 29. Nov. 1819. 
*“) Bernstorff an Ancillon, 7. Dec. 1819.
	        
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