Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Veränderte Politik der Großmächte. 5 
schleifen und jetzt noch für die Errichtung eines stehenden Bundesgerichts 
wirken, die Lebensfragen seines Verkehrs, die ganze Zukunft der deutschen 
Handelspolitik den unberechenbaren Aussprüchen eines Tribunals unter— 
werfen, bei dem die Kleinstaaten den Ausschlag gaben? Sobald Harden— 
berg eines der großen Probleme der praktischen deutschen Einheit ernstlich 
ins Auge faßte, führte ihn die Natur der Dinge zurück zu jener nüch— 
ternen Auffassung des Bundesrechts, welche sich Humboldt schon bei der 
Eröffnung des Bundestags gebildet hatte;“) er erkannte, daß die wirth— 
schaftlichen Interessen der Nation nur unabhängig vom Bunde, allein durch 
Verhandlungen zwischen den einzelnen Höfen gefördert werden konnten. 
Eine starke, das innere Leben der Einzelstaaten meisternde Bundes— 
gewalt, wie er sie noch auf dem Wiener Congresse erstrebt, erschien ihm 
nunmehr weder möglich noch wünschenswerth, nachdem der Bund „eine 
andere Organisation und Entwicklung als wir dabei vorausgesetzt“, er— 
halten hatte. Die Bundesverfassung, wie sie war, beruhte auf der Sou— 
veränität der Einzelstaaten; nur wenn man diesen Grundsatz rückhaltlos 
anerkannte, versprachen die Wiener Verhandlungen irgend ein Ergebniß. 
Daher wiederholte der Staatskanzler zwar nachdrücklich die alte Forde— 
rung Preußens, daß die Bundeskriegsverfassung endlich geregelt würde; 
er wollte auch die Karlsbader Beschlüsse als Nothgesetze für wenige Jahre 
unverbrüchlich festhalten, aber eine noch stärkere Einwirkung auf die inneren 
Angelegenheiten der Einzelstaaten dachte er dem Bunde nicht einzuräumen. 
Also kein ständiges Bundesgericht, auch keine definitive Executionsordnung, 
so lange die provisorische noch nicht erprobt sei. Selbst die verfassungs— 
mäßige Einstimmigkeit bei allen Beschlüssen über organische Einrichtungen 
wollte Hardenberg jetzt nicht mehr beseitigen, da die kleinen Staaten eine 
gerechtere Stimmenvertheilung am Bundestage doch niemals bewilligen 
würden. Ueber den Art. 13 der Bundesakte äußerte er nur einige un— 
maßgebliche Wünsche und meinte schließlich trocken: am rathsamsten viel- 
leicht, „man ließe es ganz bei den allgemeinen Erinnerungen des Präsi- 
dialvortrags in der letzten Bundestagssitzung bewenden“.“) 
Auch Metternich begann bereits vorsichtig einzulenken. Prahlerisch 
genug schrieb er freilich kurz vor Eröffnung der Conferenzen an den ge- 
treuen Berstett: „Zählen Sie auf uns. Zählen Sie auf den festen 
Gang Preußens, ich bürge Ihnen dafür. Zählen Sie endlich auf die 
ungeheure Mehrheit der deutschen Regierungen und vor Allem auf Sich 
selbst. Sie werden mich hier wieder finden, wie Sie mich am letzten 
Tage in Karlsbad verlassen haben, Sie werden außerdem den Kaiser fin- 
den, sicherlich eine ungeheure moralische Machtl“") Indeß fühlte er 
wohl, daß er jetzt nicht wieder, wie in jenen böhmischen Siegestagen, als 
  
*) S. o. II. 144. *“) Instruktion für Bernstorff, 10. Nov. 1819. 
***) Metternich an Berstett, 30. Okt. 1819.
	        
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