Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Haller. De Maistre. 127 
dieselben Literatori, die auch in Deutschland schreiend und schreibend an 
den Thronen rütteln. Haller scheute sich nicht, den Eidbruch offen zu 
predigen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und 
menschlichen Gesetze verpflichtet, ist ein Scandal, eine Lästerung Gottes und 
mithin unverbindlich. Zugleich sprach er nochmals aus, daß sein „gott— 
gewollter“ Staat nur eine privatrechtliche Gesellschaft sein und auf alle 
Kulturzwecke verzichten solle; er verwarf die allgemeine Besteuerung, die 
Conscription, die Staatsschule und klagte: „so nimmt die Sekte uns zu— 
gleich Eigenthum, Körper und Seele!“ Zum Schluß wendete er sich an 
Europas Könige, die deutschen zumal: „Fliehet das Wort Constitution; 
es ist Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratische Grundlage 
voraussetzt, den inneren Krieg organisirt und zwei auf Leben und Tod 
gegen einander kämpfende Elemente schafft.“ Nur „Land- oder Provinzial— 
stände, wie die Natur sie schuf,“ ziemen der Monarchie, auf daß die Idee 
der Macht durch die freie und freudige Zustimmung der unmittelbaren 
Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußische Kron— 
fideicommiß ward mit angebracht: „veräußert jene ursprünglichen Stamm- 
güter, die Zierden Eures Hauses nicht.“ Vor Allem aber: „Krieg, heiligen 
Krieg gegen die Sophisten, die sich selbst durch ihre Grundsätze und ihre 
Verbindung von Eurem Volk gesondert haben!“ Jeder Satz schien darauf 
berechnet, die Kluft zwischen den deutschen Parteien gewaltsam zu erweitern, 
und in der That hat Haller zur Vergiftung unseres politischen Lebens 
mehr als irgend ein anderer Publicist beigetragen. 
So fanatische Grundsätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen sich 
nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreisung des Eidbruchs mußte 
ihn abstoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieser Restaurator, der die 
drei großen preußischen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht, Schul— 
pflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preußischen 
Staates nichts ahnen konnte. Die Unterscheidung der naturgemäßen 
Landstände und der demokratischen Constitutionen sagte ihm zu, und an 
das Dasein der über Europa verzweigten Sophistenverschwörung glaubte er 
alles Ernstes. Der Name Haller's stand eben jetzt, da er dies wüthende 
Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaste hoch in Ehren, und 
es scheint sicher, daß man in den Hofkreisen ernstlich daran dachte, den 
großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde zum Glück 
Haller's Abfall von der protestantischen Kirche ruchbar, und nunmehr 
wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu sprechen. Auch der 
Kronprinz hätte den Restaurator jetzt nicht mehr in seiner Umgebung 
geduldet, denn die evangelische Kirche blieb ihm heilig, obschon er manchen 
Gedanken des Katholicismus sehr weit entgegenkam. 
Noch weiter ab von der Gedankenwelt des protestantischen Nordens 
lag die Schrift des Grafen de Maistre „vom Papste“, ein Buch, das 
schon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,
	        
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