Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

164 III. 3. Troppau und Laibach. 
Europas einen König feierlich vor seine Schranken rufen sollte. Aber 
auch König Friedrich Wilhelm und seine Räthe boten unbedenklich ihre 
Hand zu dem Possenspiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens, dessen 
gleichen sie in Preußen selbst sicherlich nie geduldet hätten. Es ist der 
Fluch großer politischer Versammlungen, daß sie das Rechtsgefühl ab- 
stumpfen, weil sich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Parlamente 
und Diplomatencongresse handeln leichter gewissenlos als einzelne Staats- 
männer. Da der preußische Hof sich an der Intervention in Neapel 
keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, so hielt er auch nicht für nöthig 
die Lauterkeit der vorgeschlagenen Mittel streng zu prüfen. 
Genug, zuerst die Preußen, dann die Russen genehmigten den öster- 
reichischen Antrag, und nunmehr ward die gemeinsame diplomatische 
Aktion der Ostmächte in guter Eintracht rüstig vorbereitet. Da erhielt 
der Czar am 15. Nov. aus Petersburg die Kunde, das berühmte Seme- 
now'sche Garderegiment habe seinem verhaßten Obersten den Gehorsam 
verweigert. Die Meuterei war ohne jeden politischen Hintergrund, und 
General Witzleben gab daher dem Kaiser mit seiner gewohnten Gradheit 
den guten Rath, er möge, um die Wiederkehr solcher Zuchtlosigkeit zu 
verhindern, für eine menschlichere Behandlung der Mannschaften sorgen, 
die Unredlichkeit der Heeresverwaltung beseitigen. Doch da das Ereigniß 
in den Zeitungen als eine gefährliche Verschwörung dargestellt wurde und 
der Czar selbst schon seit zwei Jahren aus guten Gründen dem Geiste 
seines Heeres mißtraute, so ward er durch die peinliche Nachricht leb- 
haft erregt und in seiner antirevolutionären Gesinnung von Neuem be- 
stärkt.) 
Am 19. einigten sich die Ostmächte über ein vorläufiges Protocoll, 
an dessen Spitze der verhängnißvolle Satz stand: „die Staaten, welche 
eine durch Aufruhr bewirkte Regierungs-Veränderung erlitten haben, deren 
Folgen für andere Staaten bedrohlich sind, hören dadurch von selbst auf, 
an der europäischen Allianz theilzunehmen und bleiben davon ausgeschlossen, 
bis ihre Lage Bürgschaften gesetzlicher Ordnung und Beständigkeit bietet.“ 
Entstehen durch solche Aenderungen — so fuhr das Protocoll fort — 
unmittelbar Gefahren für andere Staaten, dann verpflichten sich die 
Mächte, durch friedliche Mittel oder nöthigenfalls durch die Waffen den 
schuldigen Staat „in den Schooß der großen Allianz zurückzuführen“. So 
  
*) Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeschmückte 
Legende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerst erhalten und 
alsdann durch gewandte Benutzung derselben den überraschten Czaren für die Pläne 
Oesterreichs gewonnen. Seit Metternich's hinterlassene Papiere erschienen sind, muß 
diese Erzählung als märchenhaft angesehen werden. Denn Metternich erzählt selbst 
(III. 355), daß Kaiser Alexander ihm den Vorfall zuerst mitgetheilt habe, und legt auf 
die ganze Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verständigung zwischen den Kaiser- 
höfen im Wesentlichen schon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt.
	        
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