202 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
senden, was der König nimmermehr gestatten wollte. Darum war Niebuhr
für die Stelle ausersehen worden; der große Gelehrte konnte durch die
Macht seines Namens und seiner Persönlichkeit ersetzen was ihm an Rang
gebrach. Die Wahl erwies sich als sehr glücklich. Niebuhr errang sich
in Rom rasch ein hohes Ansehen, gewann das Vertrauen des Staats-
secretärs Consalvi, des gelehrten Mathematikers Cardinal Capaccini und
anderer Kirchenfürsten. Papst Pius, der vor Jahren selbst Professor der
griechischen Sprache gewesen war, zeichnete ihn vor allen anderen Diplo-
maten aus und fühlte sich ganz in seinem Element, wenn er nach dem
Geschwätz der Salons den geistvollen und doch so harmlos gemüthlichen
Gesprächen des preußischen Gesandten lauschen konnte; es war ihm immer
eine Freude, den Historiker bei seinen Forschungen zu unterstützen oder ihm
bald Früchte bald Blumen, bald eine köstliche Gemme ins Haus zu schicken.
Darum durfte Niebuhr auch wagen im Jahre 1819 einen regelmäßigen
evangelischen Gottesdienst in seinem Gesandtschaftspalaste einzurichten.
Mehr denn hundert Jahre zuvor hatten die Feldprediger der preußischen
Grenadiere auf dem Boden des Kirchenstaates zum ersten male das freie
Evangelium gelehrt; jetzt versammelte sich an jedem Sonntage eine pro-
testantische Gemeinde in dem alten Theater des Marcellus, und ihre Seel-
sorger — erst Schmieder, dann Rothe — brauchten den Vergleich mit den
ersten Kanzelrednern Roms nicht zu scheuen.
Niebuhr war in der rein protestantischen Luft des deutschen Nordens
aufgewachsen und ganz erfüllt von dem demokratischen Gedanken des
Priesterthums der Laien; aber sein tief religiöses Gemüth hegte auch ein
liebevolles Verständniß für die Kräfte des lebendigen Christenthums, welche
sich der Katholicismus in seiner Verweltlichung noch bewahrt hatte. Er
war den Brüdern Stolberg, obgleich er ihren Uebertritt entschieden miß-
billigte, doch in treuer Freundschaft verbunden geblieben und verehrte als
abgesagter Feind der Revolution in der römischen Kirche eine conservative
Macht, welche die Zuchtlosigkeit des neuen Geschlechts zu bändigen helfen
sollte. Ueber Wessenberg's nationalkirchliche Träume urtheilte er hart,
aber treffend. Er wußte, daß der Papst schon aus Mißtrauen gegen die
politischen Hintergedanken der Episcopalisten, jetzt weniger denn je geneigt
war irgend eine Erweiterung der bischöflichen Gewalt zuzugestehen; er
kannte den unerschütterlichen Gehorsam der rheinisch-westphälischen Katho-
liken, die sich niemals einem schismatischen Bischof anschließen konnten;
und die gutmüthige Hoffnung auf die duldsame Friedfertigkeit des deutschen
Episcopats erschien ihm, bei seiner gründlichen Kenntniß der Kirchen-
geschichte, zum mindesten zweifelhaft: war doch die schwärzeste That des
modernen Katholicismus, die Vertreibung der Hugenotten, nicht vom
Papste ausgegangen, sondern von derselben gallicanischen Nationalkirche,
deren Freisinn die liberalen Anhänger Wessenberg's zu preisen pflegten.
Er wiederholte gern den Ausspruch seines Amtsvorgängers Humboldt: