Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

214 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
In seinem berechtigten Eifer wider die gewaltsame Härte der josephi- 
nischen Staatsgewalt war dem geistvollen Gelehrten ganz entgangen, daß 
eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrschaft 
vorzeichnen will, nothwendig selber nach der Weltherrschaft trachten muß, 
wie es die dreifach gekrönten Priester des Mittelalters auch gethan hatten. 
Er hatte das Wunder vollbracht, die absoluteste Gewalt, welche die Geschichte 
kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra- 
montane Partei säumte nicht, die kühne Paradoxie des protestantischen 
Denkers für sich zu verwerthen. Walter selbst wagte nur leise anzudeuten, 
daß die so lange durch List und Gewalt geleitete europäische Politik viel- 
leicht dereinst — aber nur ganz friedlich, von innen heraus — wieder 
unter die sanfte schiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Christi gerathen 
könne. Vorläufig begnügte man sich also mit der Müller'schen Forderung: 
Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden 
Gewalten; und da das große Wort der Freiheit diesem durch thörichte 
polizeiliche Quälerei erbitterten Geschlechte unwiderstehlich klang, so warb 
der clericale Gedanke des kirchenpolitischen Dualismus auch im liberalen 
Lager, sehr langsam freilich, vereinzelte Anhänger. Der gesammten 
deutschen Geschichtsforschung wies Müller den Weg zu einer billigeren 
Würdigung der mittelalterlichen Kirche. Ein streng clericaler Historiker 
von irgend welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten, 
aber in der Stille seines Schweizer Pfarrhauses brütete ein Fanatiker der 
Priesterherrschaft, der Protestant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem 
herrschsüchtigsten aller Päpste, Innocenz III. ein leuchtendes Denkmal zu 
errichten. 
Und seltsam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen 
dienen mußte, so führte auch die vaterländische Begeisterung manchen 
unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römischen Welt- 
macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes starken nationalen 
Staates und vornehmlich der deutschen Einheit war. Das achtzehnte 
Jahrhundert hatte die Romfahrten unserer alten Kaiser mit aufgeklärter 
Selbstgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich nur halb 
gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der romantischen 
Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen und der Staufer, 
und wenn sie die phantastisch ausgeschmückten Bilder alter Kaiserherrlichkeit 
mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich, so lief sie leicht Gefahr, 
den Grund dieses Verfalls in den Thaten Luther's zu suchen. Von 
ähnlichen patriotischen Idealen erfüllt hatte einst Julius Pflugk zur Zeit 
des Augsburger Friedens seine feurigen Reden an die Deutschen geschrieben 
und die Kirchenspaltung als den Anfang des nationalen Unglücks beklagt. 
Es ließ sich doch nicht leugnen, daß die Reformation die längst schon vor- 
handenen Keime des Zerfalls gefördert, die längst schon lebendigen politischen 
Gegensätze noch durch kirchlichen Haß verschärft hatte; wie nahe lag die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.