214 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
In seinem berechtigten Eifer wider die gewaltsame Härte der josephi-
nischen Staatsgewalt war dem geistvollen Gelehrten ganz entgangen, daß
eine Macht, welche allen Königen der Erde die Grenzen ihrer Herrschaft
vorzeichnen will, nothwendig selber nach der Weltherrschaft trachten muß,
wie es die dreifach gekrönten Priester des Mittelalters auch gethan hatten.
Er hatte das Wunder vollbracht, die absoluteste Gewalt, welche die Geschichte
kennt, durch die Idee der Freiheit zu rechtfertigen, und die werdende ultra-
montane Partei säumte nicht, die kühne Paradoxie des protestantischen
Denkers für sich zu verwerthen. Walter selbst wagte nur leise anzudeuten,
daß die so lange durch List und Gewalt geleitete europäische Politik viel-
leicht dereinst — aber nur ganz friedlich, von innen heraus — wieder
unter die sanfte schiedsrichterliche Obhut des Stellvertreters Christi gerathen
könne. Vorläufig begnügte man sich also mit der Müller'schen Forderung:
Gleichgewicht von Staat und Kirche, vollkommene Freiheit der beiden
Gewalten; und da das große Wort der Freiheit diesem durch thörichte
polizeiliche Quälerei erbitterten Geschlechte unwiderstehlich klang, so warb
der clericale Gedanke des kirchenpolitischen Dualismus auch im liberalen
Lager, sehr langsam freilich, vereinzelte Anhänger. Der gesammten
deutschen Geschichtsforschung wies Müller den Weg zu einer billigeren
Würdigung der mittelalterlichen Kirche. Ein streng clericaler Historiker
von irgend welcher Bedeutung war freilich bisher noch nicht aufgetreten,
aber in der Stille seines Schweizer Pfarrhauses brütete ein Fanatiker der
Priesterherrschaft, der Protestant F. E. Hurter bereits über dem Plane, dem
herrschsüchtigsten aller Päpste, Innocenz III. ein leuchtendes Denkmal zu
errichten.
Und seltsam: wie die Idee der Freiheit den Zwecken der Clericalen
dienen mußte, so führte auch die vaterländische Begeisterung manchen
unklaren jungen Schwärmer hinüber in das Lager der römischen Welt-
macht, die doch zu allen Zeiten der natürliche Feind jedes starken nationalen
Staates und vornehmlich der deutschen Einheit war. Das achtzehnte
Jahrhundert hatte die Romfahrten unserer alten Kaiser mit aufgeklärter
Selbstgefälligkeit verurtheilt und die Reformation als einen freilich nur halb
gelungenen Kampf für Licht und Wahrheit anerkannt. Der romantischen
Jugend ward die Seele weit bei den Namen der Ottonen und der Staufer,
und wenn sie die phantastisch ausgeschmückten Bilder alter Kaiserherrlichkeit
mit dem Elend des dreißigjährigen Krieges verglich, so lief sie leicht Gefahr,
den Grund dieses Verfalls in den Thaten Luther's zu suchen. Von
ähnlichen patriotischen Idealen erfüllt hatte einst Julius Pflugk zur Zeit
des Augsburger Friedens seine feurigen Reden an die Deutschen geschrieben
und die Kirchenspaltung als den Anfang des nationalen Unglücks beklagt.
Es ließ sich doch nicht leugnen, daß die Reformation die längst schon vor-
handenen Keime des Zerfalls gefördert, die längst schon lebendigen politischen
Gegensätze noch durch kirchlichen Haß verschärft hatte; wie nahe lag die