Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

240 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
Provinzialmeinungen darbieten.“ Voß hingegen erklärte kurzab, man dürfe 
„dem gesetzgebenden Willen nicht vorgreifen“; Wittgenstein und Albrecht 
stimmten ihm zu. Man einigte sich endlich (21. Mai) über ein schwäch- 
liches Compromiß: das neue Gesetz sollte weder der Verordnung vom 
22. Mai noch des Wahlrechts für den Reichstag gedenken, doch dafür 
aus jener entscheidenden Cabinetsordre vom 11. Juni 1821 den Satz 
aufnehmen, welcher aussprach, das Wann und Wie der Reichsstände bleibe 
„Unserer landesväterlichen Fürsorge vorbehalten“. 
Welch ein Mißgriff! Das Gesetz befahl nicht, es versprach nicht ein- 
mal, es stellte nur mit schwankenden Worten in Aussicht, daß vielleicht 
dereinst Reichsstände erscheinen könnten! Die unbestimmte, vieldeutige Rede- 
wendung gab dem Zwiespalt, der unter den Gesetzgebern selber herrschte, 
einen getreuen Ausdruck. Voß und Wittgenstein wollten überhaupt keinen 
Reichstag, während der Kronprinz, Ancillon und die beiden Präsidenten 
noch immer daran festhielten. Dem Prinzen schwebte der Gedanke vor, 
daß die Monarchie in ihrem ständischen Leben denselben langsamen Ent- 
wicklungsgang zur Einheit durchmessen sollte, den ihre Verwaltung bereits 
vollendet hatte. Und doch überkam ihn immer wieder der Zweifel, ob der 
Lauf der Geschichte sich also meistern lasse. Im Oktober, lange nachdem 
die Commission schlüssig geworden, verlangte er Stein's Gutachten über 
die Provinzialstände und fragte den Freiherrn zugleich in einem schönen, 
warmherzigen Briefe, ob die Reichsstände gleichzeitig mit den Provinzial- 
ständen oder unmittelbar nachher oder erst nach längerer Erfahrung er- 
scheinen sollten. Der Brief kam zur unglücklichen Stunde. Stein war 
gereizt und verstimmt, er hatte sich schon allzu tief eingelassen in die alt- 
ständische Parteibewegung, die nach ihrem innersten Wesen den Reichs- 
ständen zuwiderlief. Er ermahnte den Prinzen zwar zum Vertrauen auf 
dies brave, treue, besonnene Volk; aber statt dem Schwankenden die 
schleunige Berufung der Reichsstände ans Herz zu legen, gab er ganz 
gegen seine Art eine halb ausweichende Antwort und begnügte sich mit 
der Bemerkung, die Provinzialstände böten immerhin eine nützliche Vor- 
übung, um Erfahrungen zu sammeln für den Reichstag. Kein Zweifel, 
daß dieser unselige Spruch aus solchem Munde sehr tief eingewirkt hat auf 
das Urtheil des Prinzen. Unter allen Staatsmännern der Zeit hat allein 
Humboldt die planlose Unklarheit des ganzen Unternehmens klar durch- 
schaut. Er blieb dabei, daß man die Arbeit an den Theilen nicht beginnen 
dürfe ohne einen Plan für das Ganze; und wie verkehrt, den Bau 
in der Mitte anzufangen, statt bei den Grundlagen, den Kreisen und 
Gemeinden! 
Scpdann erhob sich eine Formfrage, welche den tiefen Gegensatz der 
Parteien grell zu Tage treten ließ. Sollten die allgemeinen Grundsätze 
über die Einrichtung der Provinzialstände in einem Gesetze für die ge- 
sammte Monarchie verkündigt, und dann die Detailbestimmungen über
	        
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