Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Ständische Gliederung. 243 
einem besonderen Interesse gefährdet glaube. Auf Schönberg's Antrag 
wurde diese gefährliche Befugniß abgeschwächt zu einem einfachen Beschwerde— 
recht für den bedrohten Landestheil. Die „Communalverfassungen“ der 
einzelnen Territorien hingegen sollten bis auf Weiteres unverändert fort— 
dauern. Doch nur in der Alt-, Kur- und Neumark, in den beiden Pommern 
und den beiden Lausitzen sind die alten Landtage als Communallandtage 
wieder aufgelebt. In allen anderen Provinzen verschwanden die Trümmer 
altständischen Sonderlebens spurlos vor den neuen Provinzialständen, die 
Todten begruben ihre Todten. Der Markaner trat mit dem Paderborner, 
der Magdeburger mit dem Thüringer willig zur politischen Arbeit zu— 
sammen. Wer hellen Blicks verfolgte, wie rasch der Gegensatz der Land— 
schaften innerhalb der Provinzen sich ausglich, der mußte erkennen, daß 
dies Volk fähig war, den vollen Segen des Einheitsstaates zu ertragen. 
Ebenso unmöglich wie die Wiederherstellung der historischen Terri— 
torien war die einfache Erneuerung der alten ständischen Gliederung. 
Die Provinzialstände wurden, so sagte das Gesetz, „im Geiste der älteren 
deutschen Verfassungen“ errichtet, sie waren das „gesetzmäßige Organ der 
verschiedenen Stände Unserer getreuen Unterthanen“. Oftmals hat in 
späteren Tagen König Friedrich Wilhelm IV. ihnen eingeschärft, sie seien 
„deutsche Stände im altherkömmlichen Wortsinne, d. h. vor Allem und 
wesentlich Wahrer der eigenen Rechte, der Rechte der Stände, sie sollten 
ihren Beruf nicht dahin deuten, als seien sie Volksrepräsentanten.“ Das 
Gesetz hielt streng darauf, daß jeder Gewählte wirklich seinem Stande und 
seinem Wahlbezirke angehörte, gab den Ständen sogar das heillose Recht 
der itio in partes. Gleichwohl waren die Provinzialstände nichts anderes 
als eine einseitig verbildete moderne Interessenvertretung. Da die alten 
ständischen Corporationen überall vernichtet waren, so konnte man auch die 
Erwählten nicht an die Aufträge ihres „Standes“ binden; die Abgeordneten 
stimmten, wie Volksvertreter, nach persönlicher Ueberzeugung. Die geringe 
Kopfzahl der Landtage verhinderte auch die von Stein geforderte Errichtung 
ständischer Curien; jeder Provinziallandtag berathschlagte in Einer Ver— 
sammlung und faßte giltige Beschlüsse mit einfacher oder Zweidrittel— 
mehrheit aller Stimmen. Und wie war doch in den meisten Provinzen, 
zur Verzweiflung der antiquarischen Idealisten, selbst die Erinnerung an 
die alten ständischen Unterschiede gänzlich verschwunden! Wer hätte auch 
nur daran denken mögen, den Clerus, der doch die Landtage der rheinischen 
Krummstabslande allein beherrscht hatte, wieder zum ersten Stande zu 
erheben? Da andererseits die ländliche Selbstverwaltung noch nicht durch- 
geführt war, mithin die Grundlage für ein billig abgestuftes Wahlsystem 
noch fehlte, so wurde die Commission von selbst zu den drei Ständen der 
Hardenberg'schen Entwürfe zurückgeführt zu einer ständischen Gliede- 
rung, die nach der Lage der Dinge unvermeidlich, doch ganz gewiß nicht 
historisch war. 
  
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