Kapodistrias' Fall. 259
der Höfe des alten Jahrhunderts befangen blieb und sich nichts Schöneres
wußte als eine recht flache italienische Oper, so erschien es ihm sehr merk—
würdig, daß alle Liberalen die neue deutsche Musik vorzögen, der falsche
Geist und der schlechte Geschmack sich ewig beisammen fänden.
In Petersburg blieb der Rückschlag nicht aus. Kapodistrias verließ
den Hof im September mit unbestimmtem Urlaub — für immer, wie er
wohl wußte. Auch Golowkin forderte seine Entlassung und wurde durch
den glücklich überlisteten Tatistschew ersetzt. So waren sie denn Alle in
Ungnade gefallen, die bedeutenden Männer, die einst nach und neben
einander das Vertrauen des Czaren gewonnen hatten: Speransky und
Stein, Czartoryski, Galitzin, Kapodistrias. Nur Einer behauptete sich vom
Anfang bis zum Ende dieser wechselreichen Regierung unerschütterlich in
der Gunst des Herrschers: der dumme, rohe, heimtückische General Arak—
tschejew, ein Kamaschenheld gemeinsten Schlages, knechtisch nach oben, frech
nach unten. Wie sanfte, hingebende Frauen sich nicht selten zu einem
völlig herzlosen Manne dämonisch hingezogen fühlen, so konnte Alexander's
weiche Natur diesen bösen Gesellen nicht entbehren, der in seiner glücklichen
Selbstgewißheit kein Erwägen und kein Schwanken kannte. Der allgemeine
Haß, welchen das herrische Gebahren dieses Günstlings hervorrief, fiel
auch auf seinen Beschützer zurück. Seit Alexander vor den Osmanen
die Segel gestrichen hatte, begann die Liebe des Volks sich von dem einst
Vergötterten abzuwenden, und je verlassener er sich unter seinen Russen
fühlte, um so fester klammerte er sich an den Bund der großen Mächte.
Der preußische Hof hatte während dieser Händel seine österreichischen
Freunde unterstützt, doch nur lau und nicht ohne Widerstreben; denn
obwohl er in seiner unbedingten Friedensliebe den Ausbruch des orien-
talischen Krieges zu verhindern wünschte, so konnte er sich doch der
philhellenischen Schwärmerei der öffentlichen Meinung nicht so gänzlich
entziehen wie die Hofburg, die von Alters her darauf rechnen durfte, daß
ihre Völker sich niemals ein Urtheil über die auswärtige Politik erlaubten.
Ein türkenfreundlicher Fanatismus, wie ihn der Oesterreichische Beobachter
zur Schau trug, war in den Spalten der Berliner Staatszeitung unmög-
lich, da fast die gesammte gute Gesellschaft, bis hinauf zu dem Freiherrn
vom Stein und dem hochkirchlichen westphälischen Adel, sich laut für die
Griechen aussprach. Einmal, im Juli 1821, wagte Ancillon sogar den
Vorschlag, die christlichen Mächte sollten durch gemeinsame Verhandlungen
bei der Pforte den Griechen einigen Rechtsschutz sichern. Bernstorff be-
eilte sich freilich, diese Denkschrift seines Freundes als eine Privatarbeit zu
verleugnen; er ermahnte sogar im September, auf Metternich's dringende
Bitte, die Höfe von München und Stuttgart zum Einschreiten gegen die
revolutionären Umtriebe der Philhellenen: unter den Aposteln der Freiheit,
so schrieb er, habe keiner so viel Frechheit an den Tag gelegt wie Professor
Thiersch in München. Nunmehr wurden die öffentlichen Werbungen für
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