Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kapodistrias' Fall. 259 
der Höfe des alten Jahrhunderts befangen blieb und sich nichts Schöneres 
wußte als eine recht flache italienische Oper, so erschien es ihm sehr merk— 
würdig, daß alle Liberalen die neue deutsche Musik vorzögen, der falsche 
Geist und der schlechte Geschmack sich ewig beisammen fänden. 
In Petersburg blieb der Rückschlag nicht aus. Kapodistrias verließ 
den Hof im September mit unbestimmtem Urlaub — für immer, wie er 
wohl wußte. Auch Golowkin forderte seine Entlassung und wurde durch 
den glücklich überlisteten Tatistschew ersetzt. So waren sie denn Alle in 
Ungnade gefallen, die bedeutenden Männer, die einst nach und neben 
einander das Vertrauen des Czaren gewonnen hatten: Speransky und 
Stein, Czartoryski, Galitzin, Kapodistrias. Nur Einer behauptete sich vom 
Anfang bis zum Ende dieser wechselreichen Regierung unerschütterlich in 
der Gunst des Herrschers: der dumme, rohe, heimtückische General Arak— 
tschejew, ein Kamaschenheld gemeinsten Schlages, knechtisch nach oben, frech 
nach unten. Wie sanfte, hingebende Frauen sich nicht selten zu einem 
völlig herzlosen Manne dämonisch hingezogen fühlen, so konnte Alexander's 
weiche Natur diesen bösen Gesellen nicht entbehren, der in seiner glücklichen 
Selbstgewißheit kein Erwägen und kein Schwanken kannte. Der allgemeine 
Haß, welchen das herrische Gebahren dieses Günstlings hervorrief, fiel 
auch auf seinen Beschützer zurück. Seit Alexander vor den Osmanen 
die Segel gestrichen hatte, begann die Liebe des Volks sich von dem einst 
Vergötterten abzuwenden, und je verlassener er sich unter seinen Russen 
fühlte, um so fester klammerte er sich an den Bund der großen Mächte. 
Der preußische Hof hatte während dieser Händel seine österreichischen 
Freunde unterstützt, doch nur lau und nicht ohne Widerstreben; denn 
obwohl er in seiner unbedingten Friedensliebe den Ausbruch des orien- 
talischen Krieges zu verhindern wünschte, so konnte er sich doch der 
philhellenischen Schwärmerei der öffentlichen Meinung nicht so gänzlich 
entziehen wie die Hofburg, die von Alters her darauf rechnen durfte, daß 
ihre Völker sich niemals ein Urtheil über die auswärtige Politik erlaubten. 
Ein türkenfreundlicher Fanatismus, wie ihn der Oesterreichische Beobachter 
zur Schau trug, war in den Spalten der Berliner Staatszeitung unmög- 
lich, da fast die gesammte gute Gesellschaft, bis hinauf zu dem Freiherrn 
vom Stein und dem hochkirchlichen westphälischen Adel, sich laut für die 
Griechen aussprach. Einmal, im Juli 1821, wagte Ancillon sogar den 
Vorschlag, die christlichen Mächte sollten durch gemeinsame Verhandlungen 
bei der Pforte den Griechen einigen Rechtsschutz sichern. Bernstorff be- 
eilte sich freilich, diese Denkschrift seines Freundes als eine Privatarbeit zu 
verleugnen; er ermahnte sogar im September, auf Metternich's dringende 
Bitte, die Höfe von München und Stuttgart zum Einschreiten gegen die 
revolutionären Umtriebe der Philhellenen: unter den Aposteln der Freiheit, 
so schrieb er, habe keiner so viel Frechheit an den Tag gelegt wie Professor 
Thiersch in München. Nunmehr wurden die öffentlichen Werbungen für 
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