Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

286 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
eine Weile goldig in der Sonne glitzerten, blieb aber auch ebenso seelen- 
vergnügt wenn sie platzten. Denn die leidenschaftliche Freude am Erfolge, 
das sicherste Kennzeichen des praktischen Talents, fehlte ihm gänzlich, trotz 
der Ehrlichkeit seiner Ueberzeugung kam er niemals über den geschäftigen 
Dilettantismus hinaus. Unter allen Grundsätzen des Bundesrechtes hielt 
er keinen so hoch wie die formale Rechtsgleichheit der souveränen Bundes- 
staaten. Nicht einmal den Schein eines Uebergewichts wollte er den 
Großmächten gönnen, und niemals beunruhigte ihn das Bedenken, ob 
denn die Macht und Einheit Deutschlands, die er auf seine Weise ehrlich 
wünschte, mit der Gleichheit dieser achtunddreißig Souveräne verträglich 
sei. Als er einmal in einem langen Gutachten bewiesen hatte, Köthen sei 
ein Staat wie Preußen auch und folglich der Köthener Schmuggel ebenso 
berechtigt wie die preußische Handelspolitik, da erfüllte ihn das Bewußt- 
sein einer vollbrachten Großthat, und stolz schrieb er einem Freunde: 
„Die anhaltisch-preußische Streitfrage, welche synonym mit der ist, ob 
wir einen Bund oder eine socictatem leoninam haben sollen, wird würdig 
und folgenreich beantwortet, und — Württemberg hat die Antwort ge- 
geben, die nun ihr Echo in ganz Deutschland findet!“.) 
Die stattliche Erscheinung des schönen hochgewachsenen Cavaliers mit 
den schwärmerischen Augen und dem gutmüthigen Lachen war in der 
Gesellschaft überall willkommen; man verzieh ihm gern, wenn er in der 
Lust des Weines seinem taktlosen Uebermuth die Zügel schießen ließ und 
einmal gar in Gegenwart des preußischen Gesandten einen Trinkspruch 
auf die Republik ausbrachte. An Geist und Bildung übertraf er die 
meisten, an dialektischer Gewandtheit alle seine Amtsgenossen, und rück- 
sichtslos genug ließ er sie sein Uebergewicht fühlen; jeden seiner Einfälle 
vertheidigte er in Repliken und Dupliken, und bald ward es zur Regel, 
daß Württemberg über alle noch so geringfügigen Fragen sein Sonder- 
gutachten abgab. Seit Buol's pomphaften Eröffnungsreden und Gagern's 
reichspatriotischen Herzensergießungen hatte sich der Bundestag an den 
Mißbrauch parlamentarischer Redekünste gewöhnt, obgleich diese Gesandten 
allesammt streng an ihre Instruktionen gebunden waren; jetzt füllte 
Wangenheim's unersättliche Beredsamkeit zuweilen ganze Sitzungen aus. 
Der conservative Wintzingeerod in Stuttgart erschrak nicht selten über die 
kühnen Luftsprünge seines Bundesgesandten; jedoch der König und sein 
geheimer Rathgeber Trott nahmen sich Wangenheim's in der Regel an, 
und so konnte er ungestört eine Oppositionspartei um sich sammeln. Die 
hessischen Gesandten Lepel und Harnier, zwei tüchtige Geschäftsmänner, 
folgten ihm fast unbedingt. Aber auch der Baier Aretin, ein feiner, geist- 
reicher Gelehrter, der den wilden bajuvarischen Fanatismus seines aleman- 
nischen Bruders keineswegs theilte, blieb nicht ganz unempfänglich, wenn 
  
*) Wangenheim an Hartmann, 12. Juli 1821.
	        
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