Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Bundes-Kriegsverfassung. 291 
geflüstert hatte. Unter Anstett wirkten seine allbekannten geheimen Agenten 
Faber und Strinkewitsch; sie trieben es mit dem Horchen so arg, daß man 
nach Kapodistrias' Abgang doch für gerathen hielt sie aus der Bundes— 
stadt abzurufen. Minder bemerkbar, doch im Stillen sehr mächtig war 
der Einfluß des französischen Gesandten Reinhard, der auch mit den 
Unzufriedenen des linken Rheinufers wahrscheinlich noch geheime Ver— 
bindungen unterhielt. Als geborener Schwabe, als geistvoller Gelehrter, 
als gemäßigter Liberaler und natürlicher Gönner der troisième Alle- 
magne stand er dem württembergischen Gesandten besonders nahe, und 
obwohl Wangenheim's ehrlicher Patriotismus allen Rheinbundsgedanken 
völlig unzugänglich blieb, so konnte es doch kaum fehlen, daß der un- 
gestüme, phantastische Deutsche zuweilen unbewußt von dem klugen Halb- 
franzosen gegängelt wurde. Wie ging ihm das Herz auf, als sein Freund 
Reinhard ein glänzendes Fest gab um Goethe's Genesung von schwerer 
Krankheit und zugleich die Geburt des württembergischen Kronprinzen zu 
feiern. — 
Unter solchen Umständen konnten die Verhandlungen über das 
Bundesheerwesen nur ein ekelhaftes Bild deutscher Zerrissenheit bieten, das 
den häßlichen Erinnerungen des Regensburger Reichstags keineswegs 
nachstand. Am 9. April 1821 einigte sich der Bundestag endlich über 
die „Allgemeinen Grundrisse der Deutschen Kriegsverfassung“ und am 
11. Juli 1822 über die „Näheren Bestimmungen“" dazu, so daß fast sechs 
Jahre nach der Eröffnung der Bundesversammlung die Grundlagen des 
Heerwesens auf dem Papiere fertig standen. Das Ergebniß war, da 
Oesterreich seinen Einfluß nicht gebrauchen wollte, eine gründliche Nieder- 
lage für Preußen, ein vollständiger Sieg der kleinen Königreiche. Das 
Bundesheer sollte etwa 300,000 Mann stark sein; davon stellte Oester- 
reich drei Armeecorps, 95,000 Mann. Preußen, das mit drei Vierteln 
seiner Bevölkerung dem Bunde angehörte, durfte nur ein Drittel seines 
Heeres, drei Corps mit 80,000 Mann, stellen; so blieb den Kleinen die 
Genugthuung, daß sie selber mehr Bundestruppen als jede der beiden 
Großmächte — vier Corps mit reichlich 120,000 Mann — in den Tabellen 
aufweisen konnten. Das siebente Corps war bairisch, das achte umfaßte 
die übrigen süddeutschen Staaten, das zehnte Hannover und die Kleinstaaten 
Niederdeutschlands; diese Truppenkörper mochte man auf der Landkarte 
zur Noth für eine Einheit halten. Damit aber der König von Sachsen 
sich ebenfalls den Besitz eines Corps-Generals gönnen konnte, wurde noch 
ein wundersames neuntes Armeecorps ausgeklügelt, das die Truppen von 
Sachsen, Thüringen, Kurhessen, Nassau und Luxemburg umfassen sollte 
— eine Kriegsmacht, welche sich natürlich niemals auch nur zu einem 
Manöver zusammenfand. 
  
*) Wangenheim an Hartmann, 14. März 1823. 
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