Die Bundes-Kriegsverfassung. 291
geflüstert hatte. Unter Anstett wirkten seine allbekannten geheimen Agenten
Faber und Strinkewitsch; sie trieben es mit dem Horchen so arg, daß man
nach Kapodistrias' Abgang doch für gerathen hielt sie aus der Bundes—
stadt abzurufen. Minder bemerkbar, doch im Stillen sehr mächtig war
der Einfluß des französischen Gesandten Reinhard, der auch mit den
Unzufriedenen des linken Rheinufers wahrscheinlich noch geheime Ver—
bindungen unterhielt. Als geborener Schwabe, als geistvoller Gelehrter,
als gemäßigter Liberaler und natürlicher Gönner der troisième Alle-
magne stand er dem württembergischen Gesandten besonders nahe, und
obwohl Wangenheim's ehrlicher Patriotismus allen Rheinbundsgedanken
völlig unzugänglich blieb, so konnte es doch kaum fehlen, daß der un-
gestüme, phantastische Deutsche zuweilen unbewußt von dem klugen Halb-
franzosen gegängelt wurde. Wie ging ihm das Herz auf, als sein Freund
Reinhard ein glänzendes Fest gab um Goethe's Genesung von schwerer
Krankheit und zugleich die Geburt des württembergischen Kronprinzen zu
feiern. —
Unter solchen Umständen konnten die Verhandlungen über das
Bundesheerwesen nur ein ekelhaftes Bild deutscher Zerrissenheit bieten, das
den häßlichen Erinnerungen des Regensburger Reichstags keineswegs
nachstand. Am 9. April 1821 einigte sich der Bundestag endlich über
die „Allgemeinen Grundrisse der Deutschen Kriegsverfassung“ und am
11. Juli 1822 über die „Näheren Bestimmungen“" dazu, so daß fast sechs
Jahre nach der Eröffnung der Bundesversammlung die Grundlagen des
Heerwesens auf dem Papiere fertig standen. Das Ergebniß war, da
Oesterreich seinen Einfluß nicht gebrauchen wollte, eine gründliche Nieder-
lage für Preußen, ein vollständiger Sieg der kleinen Königreiche. Das
Bundesheer sollte etwa 300,000 Mann stark sein; davon stellte Oester-
reich drei Armeecorps, 95,000 Mann. Preußen, das mit drei Vierteln
seiner Bevölkerung dem Bunde angehörte, durfte nur ein Drittel seines
Heeres, drei Corps mit 80,000 Mann, stellen; so blieb den Kleinen die
Genugthuung, daß sie selber mehr Bundestruppen als jede der beiden
Großmächte — vier Corps mit reichlich 120,000 Mann — in den Tabellen
aufweisen konnten. Das siebente Corps war bairisch, das achte umfaßte
die übrigen süddeutschen Staaten, das zehnte Hannover und die Kleinstaaten
Niederdeutschlands; diese Truppenkörper mochte man auf der Landkarte
zur Noth für eine Einheit halten. Damit aber der König von Sachsen
sich ebenfalls den Besitz eines Corps-Generals gönnen konnte, wurde noch
ein wundersames neuntes Armeecorps ausgeklügelt, das die Truppen von
Sachsen, Thüringen, Kurhessen, Nassau und Luxemburg umfassen sollte
— eine Kriegsmacht, welche sich natürlich niemals auch nur zu einem
Manöver zusammenfand.
*) Wangenheim an Hartmann, 14. März 1823.
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