Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

356 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
Doktrin sollten ja nur die vom Throne ausgehenden Reformen rechts- 
giltig sein. So lange als irgend möglich suchte Bernstorff über die Misse- 
thaten dieser Restauration sich selber zu täuschen; auch der neue Gesandte, 
Gneisenau's Vertrauter Royer hielt sich als strenger Legitimist verpflichtet, 
die Ruchlosigkeit des Monarchen nach Kräften zu entschuldigen, so daß 
Hatzfeldt die Madrider Berichte immer mit einem freudigen Parfait, parkfait! 
begrüßte. Bald ward doch jede Täuschung unmöglich; es ließ sich nicht 
mehr verkennen, was man freilich hätte voraussehen müssen, daß der be- 
freite Bourbone genau dasselbe System wieder aufrichtete, dessen Sünden 
die Revolution von 1820 verschuldet hatten. Allzu spät erging sich der 
preußische Minister jetzt in heftigen Anklagen wider die „unglaubliche 
Schlechtigkeit und Wortbrüchigkeit König Ferdinand's"“. Sein Wiener 
Freund konnte sich zu einem so herben Urtheil noch nicht entschließen; er 
meinte noch im November gemüthlich: „vielleicht ist die augenblicklich etwas 
übertriebene Strenge des Königs eher ein Glück, wenn er später die 
Nothwendigkeit fühlt Maßregeln der Milde folgen zu lassen!“ Endlich 
begann man selbst in Wien besorgt zu werden über die letzten Folgen der 
Madrider Mißregierung. 
Den französischen Siegern brachte der legitimistische Kreuzzug keinen 
Gewinn. Ihr Rath galt in Madrid weniger als die Meinung der anderen 
Mächte, und daheim wuchs die Unzufriedenheit, da die Ultras, berauscht 
durch die leichten spanischen Erfolge, übermüthig von einer Thorheit zur 
anderen schritten und auch den besonnenen Villele weit mit sich fortzogen. 
Inzwischen ging die neue Welt dem System der Legitimität verloren. 
Am 2. Dec. 1823 verkündigte Präsident Monroe den Vereinigten Staaten 
den stolzen Grundsatz: „Amerika für die Amerikaner“: niemals werde die 
Union zugeben, daß die Großmächte Europas sich in die Angelegenheiten 
der unabhängigen Staaten dieses jungen Welttheils mischten. Ein Jahr 
darauf führte Canning nach langem Zaudern den sorgsam vorbereiteten 
Schlag gegen die große Allianz. Zu Neujahr 1825 eröffnete er den 
Gesandten der drei Ostmächte, daß er bei den Republiken Columbia, 
Mexico, Buenos-Ayres englische Geschäftsträger zu beglaubigen gedenke. 
Alle drei protestirten sofort, am heftigsten der preußische Gesandte; denn 
im Auswärtigen Amte zu Berlin galt die Anerkennung der Rebellen- 
staaten, so lange König Ferdinand sie nicht selber frei ließ, als eine Tod- 
sünde wider das legitime Recht; die Interessen des heimischen Gewerb- 
fleißes, der sich in Südamerika einen einträglichen Markt gewinnen konnte, 
kamen daneben nicht in Betracht. Wie anders die kluge englische Handels- 
politik! Mit überraschender Offenheit sprach sich Canning über die Gründe 
seines großen Entschlusses aus: „Spanisch-Amerika ist frei, und wir müßten 
denn unsere Angelegenheiten elend zu Schanden machen, so ist es eng- 
lisch und novus seclorum nascitur ordo.“ An die Stelle der politischen 
Herrschaft Spaniens — das war sein wohlerwogener Plan — sollte die
	        
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