Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Wachsende ultramontane Bewegung. 409 
ultramontanen Presse ließ errathen, daß ein schärferer Wind von Rom 
her wehte. Im „Katholiken“ führte Görres das große Wort. Der wurde 
neuerdings, seit er die Märtyrerkrone des Verbannten trug, von den Rhein— 
ländern höher geehrt als vormals in der Heimath, und verlor sich immer 
tiefer in die phantastischen Irrwege des clericalen Demagogenthums. Für 
das deutsche Elend war ihm kein Wort mehr zu schlecht: da ward die 
Wahrheit von der Lüge genothzüchtigt, und alles Leben erschien nur wie 
eine schwammichte, unganze Nagelfluh! Den höchsten Grad menschlicher 
Freiheit fand er jetzt in den schweizerischen Urkantonen, weil dort katho— 
lische und republikanische Freiheit sich vermähle. Die Krummstabsherr— 
schaft, die er einst selber so köstlich verhöhnt, wußte er jetzt nicht genug 
zu preisen. Selbst die Hunde — so versicherte er in einem Aufsatz „Rom 
wie es ist“ — zeigten in der erlesenen Stadt des obersten Reichspflegers 
Gottes mildere Sitten als anderswo; und nun gar die unschuldige Sitt- 
samkeit der römischen Menschen spottete jeder Beschreibung, denn jeder 
Römer ging allsonntäglich zum Abendmahle, was doch ganz unmöglich war, 
wenn die frommen Seelen sich mit einer Todsünde belastet fühlten! 
Die Mehrzahl der rheinischen Geistlichkeit fühlte sich glücklich unter 
Spiegel's friedfertigem Walten. Aber fast in jeder größeren Stadt bestand 
eine geschlossene clericale Oppositionspartei, die dem Erzbischof unter der 
Hand entgegenarbeitete und namentlich sein Bonner Convikt als eine 
Pflanzschule kirchenfeindlicher Gesinnung verleumdete. Da war in Düssel- 
dorf der Jesuit Wüst, der Beichtvater der sinnigen Dichterin Luise Hensel, 
der Geliebten Clemens Brentano's, die sich vor dem Altar feierlich mit 
ihrem Bräutigam Christus verlobte — und so weiter überall kleine Kreise 
von Erweckten, überall offene oder geheime Gegner der ketzerischen Regie- 
rung. Der reizbare rheinische Particularismus ergriff begierig jeden Anlaß 
um den evangelischen Landesherrn der Bedrückung des Katholicismus zu 
bezichtigen. Die finanziellen Versprechungen der Uebereinkunft mit dem 
römischen Stuhle wurden so pünktlich erfüllt, daß Consalvi mehrmals für 
die Gewissenhaftigkeit und Großmuth des Königs seinen warmen Dank 
aussprach. Doch leider hatten Hardenberg und Niebuhr in Rom einen 
schweren Fehler begangen — den einzigen großen Mißgriff ihrer Unter- 
handlung —, der nun den Ultramontanen willkommenen Anlaß zu argen 
Verdächtigungen gewährte. Die Circumscriptionsbulle enthielt die Zusage, 
daß die der Kirche bewilligten Staatszuschüsse als Grundzinsen auf die 
Staatsforsten eingetragen werden sollten, falls bis zum Jahre 1833 ein 
genügender Theil der Domänen von der Haftbarkeit für die Staatsschuld 
frei würde; sei dies nicht möglich, dann werde die Krone für die Kirche 
Landgüter ankaufen, deren Ertrag den Staatszuschüssen entspräche. Der 
Staatskanzler hatte diese leichtsinnige Zusage gegeben, obwohl die große 
Mehrheit der Staatsminister entschieden davon abrieth, und nur zu bald 
zeigte sich, daß die Abtragung der Staatsschuld bei weitem nicht so schnell
	        
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