Die Blüthezeit der Bureaukratie. 425
genügsamkeit in der Staatslehre der herrschenden Philosophenschule. Fast
noch überschwänglicher als die Beamten selbst pries Hegel den Staat der
Intelligenz. Er fand in dem preußischen Beamtenthum das alte Ideal
der Philosophen, die Herrschaft der Wissenden verwirklicht, und nach
Schülerart des Meisters Gedanken übertreibend, erwies der Jurist Sietze
in den tollen Dithyramben seiner preußischen Staats- und Rechtsgeschichte
(1829) geradezu die begriffsmäßige Vollkommenheit der preußischen Ver—
fassung. Da war Preußen „eine Riesenharfe, ausgespannt im Garten
Gottes um den Weltchoral zu leiten“, das preußische Recht die Frucht
des Selbstbewußtseins von Europa, die Verkörperung des göttlichen Wortes;
zum Schluß die Weissagung: „Preußen wird alle Völker beherrschen, nicht
durch Ketten, aber durch seinen Geist.“ So wunderliche Verirrungen trieb
das Stillleben dieses literarischen Zeitalters hervor: der rüstige Staat,
der durch den Schrecken seiner siegreichen Waffen als Störenfried der
alten Staatengesellschaft emporgekommen war, sollte als weltbürgerlicher
Schulmeister seine Tage friedlich beschließen! Diese harmlose Ansicht von
Preußens historischem Berufe begann auch im Auslande bereits Anklang
zu finden. Die liberalen Redner der französischen Kammer pflegten den
preußischen Staat, obgleich er ihnen sonst kaum der Beachtung werth
schien, als das Musterland ernster wissenschaftlicher Bildung zu feiern.
Royer Collard gestand: „Ihr habt die Freiheit des Unterrichts, wir
die Freiheit der Presse“, und V. Cousin, den die Thorheit der Dema-
gogenverfolger eine Zeit lang in Berlin festgehalten hatte, hielt nach der
Heimkehr, der erlittenen Unbill hochherzig vergessend, begeisterte Vorträge
über die Wunder der Hegel'schen Philosophie und des preußischen Schul-
wesens. —
Die Preußen blickten mit Stolz auf ihren Staat und stimmten aus
vollem Herzen ein, als Spontini's mächtige Hymne Borussia zuerst auf
dem Hallischen Musikfeste 1829 erklang. Und doch hatte diese Nation
schon längst das Alter erreicht, das der Kämpfe eines freien öffentlichen
Lebens bedarf, um seine Cultur gesund zu erhalten. Die gerühmte Bil-
dung des Staates der Intelligenz zeigte der schwächlichen, krankhaften
Züge genug. Welch einen seltsamen Anblick boten doch die Zustände der
Hauptstadt mit ihrer Fülle edler geistiger Kräfte und ihrem abgeschmackten,
kindisch unreifen Philisterthum. Selbst nach deutschen Begriffen war
Berlin, obwohl der Verkehr beständig wuchs, noch immer eine arme Stadt.
Eine Spiegelscheibe in einem Fenster des königlichen Palastes, ein Geschenk
des russischen Kaisers, war die einzige in der Residenz und wurde ebenso
andächtig bewundert wie das neue Muschelgrotten-Zimmer in Fuchs' Con-
ditorei unter den Linden oder die überaus bescheidenen Gaslaternen, die
seit 1826 in den Hauptstraßen leuchteten. Von dem socialen Unfrieden
der Großstädte blieben diese fleißigen Hunderttausende noch ganz verschont;
denn den rohen Soldatenpöbel der alten Zeit hatte die allgemeine Wehr-