Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Braunschweig. 557 
große Krisis der Landwirthschaft schwer empfunden, nun brachte noch eine 
arge Mißernte die Bauern in Harnisch. 
Eine Fülle unversöhnter Gegensätze war in diesem seltsamen Staate 
aufgewuchert: die Provinzialstände standen gegen die allgemeinen Stände, 
die zweite Kammer gegen die erste, die Steuerkasse gegen die Kronkasse, die 
Beamten gegen den Landtag, die bürgerlichen Staatsdiener gegen den Adel, 
die Bauern gegen die Grundherren, die Bürger gegen die allmächtigen 
Stadträthe, das hannoversche Ministerium gegen die deutsche Canzlei in 
London. Noch war die Mißstimmung bei Weitem nicht so ernst wie in 
Kurhessen; aber Graf Münster ließ sich in seinem fernen Putney-Hill von 
den Beschwerden des deutschen Landes nichts träumen, und so drohten auch 
diesem führerlosen Staate unberechenbare Verwicklungen. — 
Der üble Ruf, dessen die Welfen seit dem Proceß der Königin Caro— 
line in Deutschland genossen, verschlimmerte sich noch, als bald nachher 
der alte Haß der beiden Hauptlinien des Hauses von Neuem ein öffent— 
liches Aergerniß gab. Die ältere herzogliche Linie hatte aus den Länder— 
theilungen der Welfen nur einige Fetzen niedersächsischen Landes davon 
getragen, die von Holzminden an der Weser bis zum Magdeburgischen 
hinüber zerstreut lagen. Obgleich die socialen Verhältnisse dieses Länd- 
chens denen der benachbarten lüneburgischen Gebiete glichen, so gelangte 
doch der Adel hier niemals zu so unumschränkter Herrschaft wie in Han- 
nover, weil die Herzoge daheim blieben. Braunschweig lernte unter seinem 
geistreichen Herzog Karl manche Sünden des Absolutismus, den Hof- 
prunk, den Soldatenhandel, die französische Verbildung gründlich kennen, 
aber auch viele Wohlthaten dieser Staatsform. Unter Karl Wilhelm Fer- 
dinand wurde sodann der arg zerrüttete Staatshaushalt durch einen treff- 
lichen bürgerlichen Minister, Feronce, neu geordnet, und es begann eine 
Epoche sorgsamer Verwaltung, freier Presse, blühenden Schulwesens, die 
von dem Volke noch lange nachher als die gute alte Zeit gesegnet wurde. 
An Talent und Heldensinn war die ältere Linie den englischen Welfen 
weit überlegen. In der deutschen Politik ging sie fast immer andere Wege 
als ihre königlichen Vettern. Sie verschwägerte sich mit den Hohenzollern 
und schloß sich eng an Preußen an; mehrere ihrer Prinzen starben den 
Heldentod unter Preußens Fahnen; auch jener Leopold, der als Menschen- 
retter in den Wellen der Oder sein Grab fand, war preußischer Offizier. 
Dies Verhältniß begann sich zu ändern, nachdem auch Karl Wilhelm 
Ferdinand seine preußische Treue mit dem Leben bezahlt hatte. Sein 
Nachfolger Friedrich Wilhelm, der Held der schwarzen Schaar, konnte als 
Fürst ohne Land und Todfeind Napoleon's zunächst nur bei England Hilfe 
suchen. Durch Englands Fürsprache erhielt er sodann im Befreiungs- 
kriege seine Erblande zurück. Als er bei Quatrebras fiel, hinterließ er 
ein Testament, das die Regentschaft sowie die Vormundschaft über seine 
beiden minderjährigen Söhne dem Prinzregenten von Großbritannien über-
	        
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