566 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
theil.“) Nach der alten Gewohnheit der Despoten kühlte er seinen
Muth zunächst an dem Adel und den höheren Ständen; die Masse des
Volks wurde nicht gedrückt, die Steuerlast nicht verstärkt. Jedoch die ab—
stoßende Persönlichkeit des Herzogs, der niemals durch einen Zug der
Großmuth für seine Narrheit entschädigte, und das freche Gesindel im
Schlosse erbitterten auch den geringen Mann. Kopfschüttelnd sah der ehr—
bare Bürger dem tollen Wesen zu und glaubte die wunderbarsten Gerüchte,
denn dieser Fürst forderte die mythenbildende Kraft des Volksgeistes geradezu
heraus. Schon im Februar 1830 schilderte der Abgesandte der Landstände
am Bundestage den Zustand als völlig unhaltbar.“) Trat aber hier ein
Umschwung ein, so mußte sich aller Groll unfehlbar gegen den Fürsten
selber richten, und dann konnte, da der englisch-hannoversche Hof noch
immer unversföhnt blieb, leicht ein Sturz erfolgen, wie ihn die geduldige
deutsche Kleinstaatenwelt noch nie erlebt hatte. —
In keinem dieser Kleinstaaten war die Gewalt des Landesherrn durch
die Macht der Stände völlig vernichtet worden; ein kräftiger Fürst ver-
mochte hier überall noch Unheil oder Segen zu stiften. Allein in Mecklen-
burg stand die ständische Oligarchie so fest, daß auf die Persönlichkeit der
Landesherren wenig oder nichts mehr ankam. In siebenhundert Jahren
bekamen diese Gebiete nur zweimal die starke Hand eines Monarchen zu
fühlen: als Wallenstein den Herzogshut der Obotriten an sich riß und in
seiner stürmischen Weise gleich damit begann, Kepler nach Rostock zu berufen,
den Schweriner See durch einen Kanal mit der Bucht von Wismar zu
verbinden; und wieder als Friedrich der Große im siebenjährigen Kriege
das reiche Land unbarmherzig „wie einen Mehlsack ausklopfen“ ließ. Indeß
die Eintagsherrschaft des Friedländers verschwand spurlos, und Friedrich
schaltete hier nur als Feind, ohne die Absicht Dauerndes zu schaffen. Die
einheimischen Fürsten besaßen selten den Ehrgeiz und niemals die Mittel
um sich ein monarchisches Ansehen zu erringen.
Ungleich milder als an der Spree und Havel waren einst die deutschen
Eroberer hier an der Ostsee aufgetreten. Nicht zum Heile des Landes; denn
beim Zusammenstoßen feindlicher Nationen werden Freiheit und Gesittung
dann am sichersten für die Zukunft gerettet, wenn das überlegene Volks-
thum seine Eigenart mit rücksichtsloser Härte durchsetzt. Das wendische
Fürstenhaus der Niklot und Pribislav, das durch den Sieger Heinrich
*) Dies schwarze Buch, dessen Echtheit nicht bestritten werden kann, wurde beim
Brande des Braunschweiger Schlosses 1830 aufgefunden und von dem Bevollmächtigten
der Stände, Graf v. Veltheim nach Berlin gebracht. Einige Abschriften daraus theilte
Blittersdorff (Sept. 1830) dem badischen Hofe mit.
**) Blittersdorff's Bericht, 15. Febr. 1830.