Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

572 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
der alles Gute tödenden Arroganz zu entäußern.“ So urkräftig und väter— 
lich nahm sich diese kleine Krone des Erbvergleiches an, der das Ansehen 
der Landesherren kaum weniger schädigte als die Gemeinfreiheit der Bauern. 
Der Trotz der Adelslibertät konnte nur durch die Macht einer starken 
Krone, wie die preußische war, gebrochen werden, und eine solche Wen— 
dung war jetzt ganz unmöglich, da das mecklenburgische Haus, früherhin 
oftmals mit Preußen verfeindet, seit der Heirath der Königin Luise eine 
innige Familienfreundschaft mit den Hohenzollern geschlossen hatte. In 
Berlin wie an allen anderen deutschen Höfen stand die Meinung fest, 
daß man dies deutsche Abdera sich selber und seinen ständischen Händeln, 
die doch draußen Niemand schadeten, überlassen müsse. Von dem hei— 
mischen Bürgerthum konnte der Anstoß zu Neuerungen auch nicht aus— 
gehen. Das derbe Volk, das dem Fremden so bequem und genußsüchtig 
erschien, war keineswegs arm an guten Köpfen; eine kerngesunde, aus 
freiem Gemüthe quellende heitere Laune behauptete hier immer ihr Recht. 
Wie köstlich hatte einst Joh. Lauremberg in seinen niederdeutschen Scherz— 
gedichten die schwerfällige Kraft seiner Landsleute zugleich verspottet und 
verherrlicht: 
Bi dem olden will ick bliven, 
Höger schal min Styll nicht gahn, 
Als mins Vaders hefft gedahn. 
Der wußte, daß in seinem geliebten Reineke Vos eine ganz eigene Macht 
männlichen Humors lag, welche die Oberdeutschen so nicht kannten; auch 
Liscow reifte in der Rostocker Luft zum geistreichen Satiriker heran und 
blieb selbst im feinen Obersachsen der handfeste Mecklenburger. Von den 
schöpferischen Köpfen unserer großen Literaturepoche gehörte zwar nur 
einer, Joh. Heinr. Voß, dem mecklenburgischen Lande an; doch die Freude 
an den Werken der neuen Dichtung war in den guten Bürgerhäusern 
von Rostock und Wismar sehr lebhaft, selbst einzelne vom Adel, wie Graf 
Hahn, der Freund Herder's, huldigten den classischen Idealen. Weit stärker 
noch wirkte die vaterländische Begeisterung der Freiheitskriege auf die Hei- 
math Blücher's und der Königin Luise; die „Franzosentid“ war dem Meck- 
lenburger der Gräuel aller Gräuel. Das Land brachte willig schwere 
Opfer, zahlreiche Freiwillige traten ein, namentlich in die Lützower Frei- 
schaar; auch ein Bürgermädchen zog mit in den Kampf und brachte das 
eiserne Kreuz heim. Nach dem Frieden standen die gemüthlichen, warm- 
herzigen Patrioten von der Warnow auf allen deutschen Universitäten in 
gutem Ansehen; zwei von den drei Stiftern der Burschenschaft und ihr 
Geschichtsschreiber Haupt waren Mecklenburger. Aber wenn diese liebens- 
würdigen jungen Leute nachher zurückkehrten in die behagliche Heimath, 
dann begannen die Dämonen des Landes, der Kartentisch, der Rothwein 
und die Wittköppe, die Champagnerflaschen, ihren einschläfernden Zauber 
zu zeigen, und der Mann hielt selten ganz was der Jüngling versprochen
	        
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