Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Nachgiebigkeit des Großherzogs. 63 
hochconservativen Partei und hatte sich in Gießen als unerbittlicher Ver— 
folger der Demagogen einen schlimmen Leumund erworben. Gleichwohl 
vereinigten sie sich allesammt in der Erkenntniß, daß die Gährung im 
Lande allein durch eine Constitution beschworen werden könne. 
Der Großherzog ertheilte seine Genehmigung, und am 14. Oktober 
überraschte Hofmann den Landtag durch die Aufforderung: die Stände 
möchten nur Alles was sie noch zur Vervollständigung des März-Edikts 
wünschten, der Regierung vorschlagen; dann sollten die vereinbarten Punkte 
in einer Verfassungsurkunde zusammengestellt werden und mit deren Ver— 
kündigung das März-Edikt außer Wirksamkeit treten. Der Erfolg bewies 
augenblicklich, wie richtig Grolmann gerechnet hatte. Das den Herzen 
dieses Geschlechts so unwiderstehliche Wort „Verfassung“ wirkte wie ein 
Zauberschlag: nun waren die Hessen doch ebenso frei wie die Baiern, 
Badener und Württemberger! Der Saal erdröhnte von Freudenrufen. 
In tiefer Bewegung sprach der Präsident Eigenbrodt: „sie ist nun da, die 
Morgenröthe eines schönen Tages, der das Band der Liebe und des Zu— 
trauens zwischen einem edlen Fürsten und einem biedern Volke befestigen, 
noch fester knüpfen wird.“ Dann schloß er die Sitzung, damit der große 
Tag nicht durch andere Geschäfte entweiht würde. Welch ein Jubel sodann, 
als der Großherzog Abends im Theater unter seinem getreuen Volke 
erschien! Ueberall im Lande die gleiche Begeisterung, überall, wie das 
Stichwort des Tages lautete, die gerührte Dankbarkeit glücklicher Kinder 
gegen den allgeliebten Vater. 
An den Höfen fand der Freudenrausch des hessischen Volkes wenig 
Widerhall. Wie hart war schon der König von Württemberg getadelt 
worden, weil er seiner Verfassung die Form eines Vertrags gegeben hatte, 
und er konnte sich doch auf das alte Recht seiner Schwaben berufen. Jetzt 
aber erbot sich ein zweiter deutscher Fürst freiwillig zu einer Verein— 
barung mit seinen Ständen, obgleich diesen ein historischer Rechtsanspruch 
unzweifelhaft nicht zur Seite stand. Eine solche Verletzung des mo— 
narchischen Princips schien hochgefährlich. Der Erbgroßherzog und sein 
Bruder Prinz Emil hatten ihres Unmuths kein Hehl und beschuldigten 
den Minister, daß er hinter ihrem Rücken die Gutherzigkeit ihres altern— 
den Vaters mißbraucht habe. „Wenn Ihr Schwager seinen Frieden mit 
den Jacobinern schließen will — sagte Prinz Emil dem Kanzler Arens ins 
Gesicht —, dann will ich den Krieg mit ihm. Mag Grolmann in den 
Koth stürzen, das ist mir sehr gleichgiltig; aber daß er meinen Vater mit 
hineinreißt, das werde ich ihm nie verzeihen.““) Prinz Emil hatte neuer- 
dings die bonapartistischen Ideale seiner Jugendjahre allmählich aufgegeben 
und sich auf dem Aachener Congresse persönlich mit den neuen Gebietern 
Europas ausgesöhnt. Ein ausgezeichneter Soldat, klug, unterrichtet, 
  
*) Prinz Emil v. Hessen an Otterstedt, 14. Okt. 1820.
	        
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