708 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
da Rückert den Deutschen geweissagt hatte, hier in der alten Reichsstadt
werde und müsse dereinst ein deutsches Fürstenschloß sich erheben! Dieser
neue Prediger deutscher Freiheit schrieb aus Paris: „mich fröstelte nicht
mehr unter Fischen, ich war nicht mehr in Deutschland!“ Er war nicht
ganz ohne Sinn für die Größe seines Vaterlandes, in guten Stunden
fühlte er wohl die Nichtigkeit der „koketten Gloire“, die Ueberlegenheit der
deutschen Sprache, ja selbst der deutschen Gedankenfreiheit. Aber nach
solchen Aufwallungen deutschen Gefühles fiel er stets wieder in jüdisch—
französische Phrasen zurück, deren Bombast nur Victor Hugo übertroffen
hat: „Paris ist der Telegraph der Vergangenheit, das Mikroskop der
Gegenwart und das Fernrohr der Zukunft!“ Er ward nicht müde den
deutschen „Stückmenschen“ das leuchtende Bild der französischen „Total-
menschen“ vorzuhalten; ohne den lächerlichen Widerspruch zu bemerken
empfahl er uns dann insbesondere die harte Einseitigkeit französischer Partei-
gesinnung: „Der Franzose lobt und begünstigt Jeden, der auf seiner Seite,
und tadelt und beschädigt Jeden, der ihm gegenübersteht; darum erreichen
die Franzosen Alles, und wir bringen es zu nichts.“ Als er von der
Vendomesäule auf Paris hinabschaute, meinte er: „Dieser Anblick würde
einem Deutschen wohlthun, wenn es die Binse größer und stärker machte,
daß der Sturm die Eiche niederwarf.“ Nur sieben Jahre nach dem
zweiten Einzuge der deutschen Heere in Paris hatte er also schon ver-
gessen, daß wir selber der Sturm waren, der die Eiche niederwarf. Die
französische Eitelkeit gefiel sich schon längst in dem Wahne, die Ueber-
macht der großen Nation sei nur durch eine räthselhafte Schicksalstücke,
ohne Zuthun der Deutschen gebrochen worden; jetzt begannen die Sieger
schon die Märchen der Geschlagenen gläubig nachzusprechen.
Durch Börne's Bücher wurden die Blicke der deutschen Jugend wieder
nach Paris gelenkt. Wie vormals die höfische Geselligkeit so lockte jetzt
der parlamentarische Kampf nach der Seine. Bald ward es zur Regel,
daß jeder junge radicale Schriftsteller eine Pilgerfahrt nach dem Mekka
der Freiheit unternehmen mußte um sich den wahren politischen Glauben
anzueignen. Auf Börne folgte Eduard Gans, ein ungleich schärferer poli-
tischer Kopf, dem die Gebrechen des französischen Staatslebens nicht ent-
gingen. Aber auch er ließ sich von dem theatralischen Lärm dieser Partei-
kämpfe bezaubern: er meinte „den Herzschlag Frankreichs“ zu hören, als
bei einem Preßprocesse die Beifallssalven des liberalen Publikums durch
den Saal dröhnten; neben der politisch erregten Pariser Jugend erschien
ihm die deutsche äußerlich und frivol. So ging es fort; immer wieder
zogen deutsche Literaten über den Rhein, denen schon auf der Kehler Brücke
das Herz höher zu schlagen begann; sie brachten sämmtlich schon den Vor-
satz mit, alles Wälsche zu bewundern, und da sie nur Paris kennen lernten,
und auch dort nur einen kleinen Kreis radicaler Journalisten, so versorgten
sie die deutschen Zeitungen mit völlig falschen Berichten. Die preußischen