Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Pilgerfahrten nach Paris. 709 
Offiziere, die während des Krieges in Frankreich in Quartier lagen, hatten 
wohl bemerkt, daß die große Mehrheit dieser Nation aus sparsamen, 
fleißigen, furchtsamen Geschäftsleuten bestand und der militärische Geist 
dort ungleich schwächer war als in Preußen. Diese richtige Erkenntniß 
ging den Deutschen jetzt wieder verloren, seit die Schüler Börne's ihnen 
beharrlich erzählten: die ritterliche französische Nation kümmere sich wenig 
um die niederen, wirthschaftlichen Sorgen, sie glühe vor Begierde, sich 
selber die Freiheit zu sichern, um sie dann anderen Völkern großmüthig 
mitzutheilen. Der Cultus der sogenannten Ideen von 89, der sich während 
der Revolutionsjahre doch nur auf kleine Kreise der deutschen Gelehrten- 
welt beschränkt hatte, wurde erst durch diese deutsch-französische Publicistik 
in die breiten Massen unserer Mittelstände hineingetragen. Es war die 
denkbar schlechteste politische Schule für ein Volk, das sich ohnehin zum 
Doktrinarismus neigte. 
Nach seiner Rückkehr aus Paris zeigte sich Börne fieberisch aufgeregt. 
Er ersehnte die Revolution. Woher sie kommen und was sie bringen sollte, 
das wußte er selber nicht. Da die Deutschen ruhig blieben, so schimpfte 
er sie aus, ebenso unfläthig wie einst Saul Ascher. In den Jahren nach 
dem Freiheitskriege hatte die Nation noch ihr Hausrecht gebraucht und 
Ascher's jüdischer Frechheit die Thüre gewiesen. Jetzt war die Stimmung 
umgeschlagen. Die gesinnungstüchtigen Radicalen schauten einander mit 
verständnißinnigem Lächeln an, wenn Börne mit immer neuen Schimpf- 
worten denselben Gedanken wiederholte: die Deutschen seien ein Volk von 
Bedienten und brächten auf den Ruf Apportel schweifwedelnd ihren Herren 
die verlorenen Kronen zurück. Sie fanden es witzig, wenn er die Ver- 
brennung der Göttinger Bibliothek anempfahl und den Vorsatz aussprach 
die Deutschen durch Schimpfen zum National-Aerger zu stacheln. Sie 
riefen ihm Beifall, als er mit einer Gehässigkeit, die dem Eifer der Dema- 
gogenverfolger nichts nachgab, der politischen Gesinnung der namhaften 
Zeitgenossen nachspürte, jeden Vertreter gemäßigter Grundsätze kurzerhand 
der Knechtsgesinnung beschuldigte und vornehmlich die ersten Geister der 
Nation, weil er sie nicht begriff, mit niedrigen Verdächtigungen verfolgte. 
Goethe nannte er den gereimten Knecht, Hegel den ungereimten. Wer 
durfte es der jungen Generation verargen, wenn sie gegen den Schiller- 
Goethischen Briefwechsel das Recht der Lebendigen gebraucht und schroff, 
selbst ungerecht herausgesagt hätte, diese Welt der Schönheit sei gewesen? 
Börne that mehr. Er eiferte nicht nur gegen die volksfeindliche Gesin- 
nung Goethe's und selbst Schiller's, der sogar ein noch ärgerer Aristokrat 
gewesen sein sollte. Er zog auch den Freundschaftsbund der beiden Dichter 
in den Koth und besudelte ihre menschliche Größe, die grade aus diesen 
Briefen so überwältigend zu allen deutschen Herzen sprach. Traurig, rief 
er aus, „daß unsere zwei größten Geister in ihrem Hause so nichts sind, 
nein weniger als nichts, so wenig!“ Sein Urtheil über Goethe faßte er
	        
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