740 III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
getauscht wurden, hatte man in den Tuilerien den alten Wahn, daß
Frankreich ein starkes Deutschland nicht ertragen könne, noch mit nichten
überwunden; dies lehrte das verdeckte Spiel der französischen Diplomatie
gegen Preußens Handelspolitik. Sobald sich die Gefahr des Krieges
zeigte, erscholl in der französischen Presse sofort wieder der alte Ruf nach
der Rheingrenze. In der Kammer sprach General Sebastiani, der Ver—
traute des Herzogs von Orleans, den begehrlichen Gedanken offen aus,
ähnlich redete Chateaubriand vor aller Welt in seinen Salons zu Rom.
General Richemont predigte in einer prahlerischen Flugschrift „über die
politische Lage Europas“ den Krieg gegen Frankreichs wahre Feinde, Eng—
land und Oesterreich; dann sollte der Czar in Konstantinopel einziehen,
Holland durch Hannover vergrößert werden, Preußen aber, das mit der
äußersten Geringschätzung behandelt wurde, „unseren Rhein“ herausgeben
und dafür auf Oesterreichs Kosten irgendwo eine Entschädigung erhalten.
Auch die diplomatische Welt war solchen Gedanken nicht ganz fremd. Als
Bernstorff im Sommer 1828 seinen alten Congreßgenossen Caraman in
Teplitz traf, deutete ihm der Franzose leise an, im Falle der Theilung
der Türkei müsse sich Frankreich seinen Antheil in der Nähe suchen;
noch unzweideutiger äußerte sich Fürst Polignac in London zu dem Ge-
sandten v. Bülow. Das Alles waren nur Privatansichten; aber auch
der Gesandte Herzog von Martemart in Petersburg erörterte vor dem
Czaren ausführlich die Nothwendigkeit eines großen Ländertausches, und
Pozzo di Borgo schrieb aus Paris, man müsse Preußen an den Gedanken
gewöhnen, daß Frankreich eine mäßige Entschädigung zu fordern habe,
falls Preußen sich vergrößere. Czar Nikolaus fühlte jedoch, daß Offen-
heit hier die höchste Klugheit war; er hatte gerade jetzt dringende Gründe,
sich die Freundschaft seines Schwiegervaters zu erhalten und fragte in
Berlin ehrlich an, wie denn der König selber über solche Tauschpläne
denke. Die Antwort lautete unbedingt ablehnend: der König halte seinen
gegenwärtigen Besitzstand für eine Gewähr des europäischen Friedens
und fühle sich mit seinen Rheinländern durch gegenseitige Gefühle der
Liebe und des Vertrauens von Jahr zu Jahr enger verbunden. Von
Seiten des französischen Cabinets wurde niemals auch nur eine Andeu-
tung beim Berliner Hofe gewagt. Der vorsichtige Werther blieb noch
nach Jahren fest davon überzeugt, daß die französischen Minister an
diesen Zettelungen nie theilgenommen hätten, und für die Zeit des
Ministeriums Martignac mochte seine Vermuthung vielleicht zutreffen.“)
Juhr aber das Schwert aus der Scheide, dann war voraussichtlich selbst
ein gemäßigtes Cabinet nicht mehr im Stande, dem leidenschaftlichen
*) So ergiebt sich der Sachverhalt aus einer Reihe vertraulicher Mittheilungen,
welche Bernstorff und Werther im Jahre 1830 mit einander austauschten. (Bernstorff
an Werther, 3. Jan., 5. April; Werther's Bericht, 23. Jan. 1830.)