Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

744 III. 10. Preußen und die orientalische Frage. 
erreichte er doch, daß der Sultan seinen Versicherungen Glauben schenkte 
und sich entschloß, zwei Friedens-Bevollmächtigte, die ihm Müffling vor- 
schlug, an den russischen Feldmarschall zu senden.) 
Der zeigte jetzt, daß er seinem Czaren als Diplomat noch besser 
denn als Feldherr zu dienen vermochte. Seine Lage war mit nichten so 
glänzend wie sie schien. Für einen Marsch gegen Konstantinopel hatte er 
kaum noch 20,000 Mann zur Verfügung, und diese ganz ungenügende 
Macht schmolz vor seinen Augen durch verheerende Krankheiten zusammen. 
Bei längerem Verweilen konnte das Heer des Siegers vielleicht ganz 
aufgerieben werden, wenn eine kleine türkische Armee, die sich im Norden 
bei Sofia zusammenzog, rechtzeitig herankam. Diebitsch aber verstand 
die Stärke und den Zustand seiner Truppen geschickt zu verbergen, nicht 
bloß vor den Türken, sondern auch vor den beiden preußischen Officieren, 
welche Müffling zur vorläufigen Besprechung nach Adrianopel sendete; 
und es gelang ihm, Jedermann zu täuschen, den Sultan, Müffling, das 
diplomatische Corps in Pera und alle europäischen Höfe. Selbst 
Metternich, der so lange als möglich auf den Sieg seiner türkischen 
Freunde gehofft, hatte keine Ahnung von der Bedrängniß der Russen. 
Die Pforte war anfangs harmlos genug zu glauben, daß man ihr die 
Kriegskosten erlassen würde. Auf eine Anfrage Müffling's erwiderte jedoch 
Diebitsch seinem alten Kriegskameraden in aller Freundschaft sehr bestimmt: 
„Heute mehr denn je wird der Divan die Strafe seiner blinden Hart- 
näckigkeit tragen müssen. Es lag in seiner Hand den Frieden vor zwei 
Monaten zu erlangen; er hat vorgezogen den Krieg fortzusetzen und uns 
zu dem Zuge über den Balkan gezwungen. Die hochherzige Großmuth 
S. M. des Kaisers Nikolaus wird der Pforte die Last der Kriegskosten 
zu erleichtern wissen, vorausgesetzt freilich, daß sie sich Ansprüche auf so 
viel Nachgiebigkeit zu erwerben versteht.““) Diesen Ton erhabener 
Zuversicht hielt der Feldmarschall beharrlich inne, und bis zum Abschluß 
des Friedens blieb die gesammte Diplomatie am Bosporus fest davon 
überzeugt, daß er eine seltene Mäßigung zeige, während er in Wahrheit 
sein Heer zu retten suchte. 
Am 27. August fanden sich in Adrianopel die türkischen Bevoll- 
mächtigten zur ersten Besprechung bei dem Feldmarschall ein. Damit 
war Müffling's Sendung erledigt. Zum Abschied gewährte ihm der dank- 
bare Sultan noch die Gnade einer Audienz, was seit Menschengedenken 
keinem Franken widerfahren war, und hielt dabei durch den Dolmetscher 
eine nach orientalischen Begriffen wunderbar freundliche Ansprache. Er 
erkundigte sich zuerst nach der Gesundheit des Königs, erklärte sodann, 
  
*) Müffling's Berichte, 6., 11., 13., 16. Aug. 1829. 
**) Müffling an Diebitsch, Pera 16. August; Diebitsch's Antwort, Adrianopel 
11./23. August 1829.
	        
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