764 Baiern und die Karlsbader Beschlüsse.
Auflage des zweiten Bandes benutzt. Mit dieser einen Ausnahme muß ich alle meine
Urtheile und thatsächlichen Angaben aufrechthalten.
Zunächst die Urtheile. Wenn ich Baierns staatsbildende Kraft in jener Zeit
„schwach“ finde, so verweise ich zur Begründung, um nicht bitter zu werden, nur auf
eine Thatsache: in welchem Zustande befand sich die linksrheinische Pfalz nach einem
Menschenalter bairischer Herrschaft, als die Preußen im Jahre 1849 dort einrückten!
Wenn ich von der unruhigen Vergrößerungslust des Münchener Hofes spreche, so kann
ich leider die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, daß Baiern allein durch seine An-
schläge auf die badische Pfalz noch bis in die dreißiger Jahre hinein immer wieder den
Bundesfrieden störte, während alle anderen Bundesstaaten sich längst bei ihrem neuen
Besitzstande beruhigt hatten; über die Unhaltbarkeit der sogenannten Sponheimer Erb-
ansprüche sind außerhalb Baierns alle deutschen Staatsrechtslehrer einig. Daß Montgelas
sich in seiner bairischen Heimath nicht heimisch fühlte, sollte ein geborener Baier doch
am wenigsten bestreiten. Von Pietät für das heimische Wesen ist in Montgelas' Briefen
keine Spur zu finden. Er redet über seine Landsleute mit einer Härte, die selbst den
Nichtbaiern verletzen muß, und hierauf beruht ja zum Theil die historische Bedeutung
des Mannes. Wäre er dem altbairischen Volke nicht innerlich so fremd gewesen, so
würde er den radicalen Umsturz, der doch nöthig war, schwerlich gewagt haben. Wenn
ich endlich gesagt habe, daß München damals neben Karlsruhe die sittenloseste der
deutschen Residenzen war, so habe ich damit nur eine allbekannte Thatsache erwähnt,
die selbst von Gervinus, dem Gönner der Mittelstaaten anerkanni wird. Herr v. Lerchen-
feld fragt, ob diese Sittenlosigkeit etwa von dem schlichten Hofe Max Joseph's her-
stammen solle? Gewiß nicht, aber von der unglaublichen Frivolität seines Vorgängers
Karl Theodor. Das Treiben eines solchen Hofes wirkt lange nach. Karl Theodor
hat, wie jeder Pfälzer weiß, die Sitten des Mannheimer Hofadels auf eine Generation
hinaus verdorben, und in München vermochte der gutmüthige Max Joseph mit seinen
allezeit offenen Händen ebenso wenig wie die Weltkinder Montgelas, Ritter Lang und
Genossen den Bodensatz der alten Zeit sogleich hinauszufegen. Auch Preußen hat Aehn-
liches erfahren. Der frivole Ton, der unter Friedrich Wilhelm II. in die Berliner
Gesellschaft eingedrungen war, verschlimmerte sich noch in den ersten Regierungsjahren
seines Nachfolgers, obgleich die Königin Luise ein musterhaftes häusliches Leben führte;
erst das Unwetter von 1806 reinigte die Luft. Da München vor solchen Schicksals-
schlägen bewahrt blieb, so ist es nur natürlich, daß dort die Nachwehen des alten Hof-
wesens langsamer verschwanden.
Nun zu der Erzählung der Thatsachen. Ueber Montgelas' Sturz und das Con-
cordat sagt Herr v. Lerchenfeld mit anderen Worten ungefähr das Nämliche wie ich,
und gegen meine Darstellung der Entstehung der Constitution erhebt er nur einen Ein-
wand; er bezweifelt die Zuverlässigkeit eines Blittersdorffischen Berichtes, der ausdrück-
lich versichert, daß der Münchener Hof seine geplanten Verfassungsgesetze in Petersburg
vorgelegt habe. Diese Zweifel vermag ich nicht zu theilen. Blittersdorff war ein aus-
gezeichneter Diplomat, wie man auch seinen Charakter beurtheilen möge, seine Depeschen
gehören zu den besten, die ich aus dieser Zeit kenne, und sein Bericht vom 17. August 1818
lautet sehr bestimmt und ausführlich. Als badischer Beamter war er freilich ein Gegner
der bairischen Regierung, indeß sein Zeugniß würde sich doch nur dann anfechten lassen,
wenn er den Münchener Hof verdächtigen wollte. Dies ist aber keineswegs seine Absicht;
er findet vielmehr das Verfahren der bairischen Regierung ganz begreiflich und wünscht
seinerseits lebhaft, daß auch der Karlsruher Hof durch baldige Vorlegung eines Ver-
fassungsplanes sich den Beifall des liberalen Czaren erwerben möge. Eine physische
Unmöglichkeit liegt auch nicht vor, da die Berathung der bairischen Verfassungsgesetze
doch mehrere Monate in Anspruch nahm — und noch weniger, leider, eine moralische
Unmöglichkeit. Baiern und Baden bewarben sich damals wetteifernd um Rußlands
Gunst mit einer Unterwürfigkeit, die uns Söhnen der besseren Zeit fast unbegreiflich