Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. 765
erscheint. Wenn König Max Joseph im December 1815 dem Kaiser Alexander dafür dankte
daß er das Elsaß bei Frankreich erhalten habe, so sehe ich nicht ein, warum er den Czaren
nicht zwei Jahre später bei den Verfassungsverhandlungen um Rath gefragt haben soll.
Sodann giebt Herr v. Lerchenfeld zu, daß König Max Joseph sich im Früh—
jahr 1819 eine Zeit lang mit Staatsstreichsplänen trug und daß sein nach Wien und
Berlin ergangener Hilferuf die Karlsbader Beschlüsse mit veranlaßt hat. Diese That—
sache wird aufs Neue bestätigt durch einen Brief des bairischen Bevollmächtigten Zentner,
der am 28. December 1819 von den Wiener Conferenzen schrieb: „Uebrigens macht
man kein Geheimniß daraus, daß die Karlsbader Beschlüsse von unserer Seite vorzüg—
lich provocirt worden seien.“ (Lerchenfeld, S. 132.) Ich kann es keineswegs unnatürlich
finden, daß der König einen Augenblick an die Zurücknahme eines Grundgesetzes, das
sich nicht zu bewähren schien, gedacht hat. Das Häßliche dieser Vorgänge liegt nur
darin, daß die Krone, während der Briefwechsel über den Staatsstreich noch schwebte,
sich in ihren Hofblättern beständig wegen ihrer Verfassungstreue preisen ließ. Ueber
diesen wunden Punkt geht Herr v. Lerchenfeld stillschweigend hinweg.
Nachdem die Karlsbader Versammlung mit Zustimmung des bairischen Bevoll-
mächtigten Rechberg die Ausnahmegesetze vereinbart und der Bundestag dieselben, aber-
mals mit unbedingter Zustimmung des bairischen Gesandten, genehmigt hatte, war
Baiern nach Bundesrecht verpflichtet, diese Beschlüsse bekannt zu machen, und ein nach-
träglicher Widerstandsversuch versprach geringen Erfolg. Im Ministerium bestanden zwei
Parteien: auf der einen Seite Graf Rechberg, auf der andern der Finanzminister Frei-
herr v. Lerchenfeld, der an den Karlsbader Umtrieben ganz unbetheiligt war; der König
aber stand dem Minister des Auswärtigen näher als dem liberalen Finanzminister. Am
15. Oktober berieth das Ministerium über die Veröffentlichung der Karlsbader Beschlüsse.
Herr v. Lerchenfeld betrachtet das Ergebniß dieser Berathung als eine Niederlage Rech-
berg's; ich sehe darin eine Compromiß und vermag dies Urtheil nicht zu ändern. Herr
v. Lerchenfeld übergeht nämlich ganz, daß der Berathung über die Publication eine
andere, höchst erregte Debatte vorausging. Ueber diese berichtet General Zastrow am
20. Oktober, nach Rechberg's vertraulichen Mittheilungen, Folgendes: „Die Instructionen,
welche dem Minister Rechberg nach Karlsbad zugeschickt worden und die ich beim Fürsten
Wrede selbst zu lesen Gelegenheit gehabt, haben die ausdrückliche Vorschrift enthalten,
auf nichts einzugehen, was die Constitution oder die Souveränität verletzen könne. Dem-
ungeachtet hat der Minister, im Gefühl seiner Ueberzeugung, daß die daselbst genomme-
nen Beschlüsse das allgemeine Beste sämmtlicher deutschen Staaten bezwecken, sich an
jene Vorschrift nicht gebunden und geglaubt, daß man seinen gutgemeinten Gründen
auch hier bei seiner Zurückkunft Gehör geben würde. Es hat derselbe indessen die
Gemüther im höchsten Grade aufgeregt gefunden, und haben besonders die Minister
v. Lerchenfeld und Graf Reigersberg ihm seine Nachgiebigkeit als ein Verbrechen vor-
geworfen. In der letzten Minister-Conferenz haben sie ihm solches aus den Acten
beweisen wollen. Der Fürst Wrede hat aber die Hand darauf gelegt und den Ministern
erklärt, wie der ausdrückliche Wille des Königs dahin gehe, zu berathen, was fernerhin
geschehen solle, ohne auf dasjenige zurückzugehen, was bereits geschehen wäre, wodurch
die Gemüther besänftigt wurden und eine Art Aussöhnung mit dem Grafen Rech-
berg stattgefunden hat.“ Ich halte diese Erzählung für durchaus zuverlässig. Denn die
Briefe, welche der Enkel mittheilt, beweisen, daß der Minister Lerchenfeld allerdings, und
mit Recht, das Verhalten seines Amtsgenossen in Karlsbad als eine Pflichtverletzung
betrachtete. An Rechberg's persönlicher Ehrenhaftigkeit aber ist nicht zu zweifeln, wie
unerfreulich auch seine politische Haltung erscheinen mag; alle die vertraulichen Mitthei-
lungen, die er dem preußischen Gesandten mit großer Offenherzigkeit zu geben pflegte,
habe ich als wahrheitsgemäß erprobt, so weit ich sie controliren konnte.
Der unmittelbare Angriff auf Rechberg war also gescheitert. Nun erst begann die
Verhandlung über die Karlsbader Beschlüsse selbst. Minister Lerchenfeld und seine Freunde