Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

72 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's. 
Staatsschuldscheine umgeschrieben. Man verfuhr dabei mit einer Ehr— 
lichkeit, die in der europäischen Finanzgeschichte kaum ihres Gleichen findet. 
So hatte König Jerome die mit seinen altpreußischen Provinzen übernom— 
menen Landesschuldverschreibungen auf ein Drittel ihres Nennwerthes 
herabgesetzt. Als die Lande dann zu ihrem alten Herrscher zurückkehrten, 
war der Gewaltstreich längst verschmerzt, und Preußen nach Völkerrecht 
unzweifelhaft nur verpflichtet, seinen Antheil an der westphälischen Schuld, 
wie sie lag, zu übernehmen; der König aber wollte keinen Makel auf dem 
preußischen Namen dulden und ließ trotz der Noth der Finanzen die Schuld 
wieder nach ihrem vollen Werthe (7,2 Mill.) anerkennen, auch den über- 
raschten Gläubigern die Zinsen für 1814 und 1815 nachzahlen. Und 
selbst diese That peinlicher Rechtschaffenheit ward von der verstimmten 
vornehmen Gesellschaft mit übler Nachrede belohnt; Marwitz polterte, da 
habe der Staatskanzler seinen Lieblingen, den Wucherern, wieder einmal 
ein Geschenk in den Rachen geworfen. 
Der Schulden-Etat gestand zu, daß nur ein Theil der Staatsschuld- 
scheine bereits im Umlaufe, ein anderer für die außerordentlichen Bedürf- 
nisse der nächsten Zukunft noch zurückbehalten sei, jedoch er verschwieg die 
Höhe dieser letzteren Summe und — er mußte sie verschweigen. Denn 
im Januar 1820 hatte der Staat von den 119,6 Millionen Staatsschuld- 
scheinen erst 59,685 Mill. ausgegeben, wovon 4 Mill. bereits wieder ein- 
gelöst waren, er behielt also die volle Hälfte, an 60 Mill. noch in der 
Hand um die Straßen= und Festungsbauten der nächsten Jahre zu be- 
streiten und vornehmlich um seine ihm selber noch unbekannten Schuld- 
posten zu decken. Der veröffentlichte Etat gab nicht eine Uebersicht über 
die wirkliche Schuldenlast, sondern lediglich einen Voranschlag, wie ihn 
Rother mit erstaunlichem Geschick, annähernd richtig, aber großentheils 
nur nach Vermuthungen aufgestellt hatte. Der unbeschreibliche Wirrwarr 
der aus so vielen Territorien zusammengeronnenen Schuldenmasse ließ 
sich noch immer nicht sicher übersehen, und — so tief lag der Unter- 
nehmungsgeist in diesem verarmten und entmuthigten Geschlechte darnieder 
— selbst die Gläubiger zeigten bei der Abwicklung des Schuldenwesens 
eine unbegreifliche Saumseligkeit; umsonst setzte der Staat wiederholt 
Präclusivtermine für die Anmeldung alter Schuldforderungen, die An- 
zeigen liefen niemals vollständig ein. Welch eine Arbeit, bis man nur 
die Gewißheit erlangte, daß die Staatsschuld des Herzogthums Sachsen 
sich auf 11,,9 Mill. belief; da galt es zunächst mit der Krone Sachsen, 
die sich begreiflicherweise sehr ungefällig benahm, peinliche Verhand- 
lungen zu führen, und dann mußte man noch mit sieben ständischen 
Körperschaften abrechnen, denn jeder der sieben kursächsischen Landestheile 
besaß seine eigene Staatsschuld und außerdem noch einen Antheil an den 
Centralschulden des kleinen Königreichs. Was Preußen von den Central= 
schulden des Königreichs Westphalen zu übernehmen habe, war noch
	        
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