Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

140 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
Diesen Ausgang der Wirren hatte niemand erwartet, niemand ge- 
wünscht. Kurprinz Friedrich Wilhelm hieß im Volke längst der böse Junge. 
Der Eintagsruhm, den er sich durch seine feige Nachgiebigkeit gegen die 
Hanauer Mautstürmer erworben, war rasch wieder verflogen; man wußte, 
wie dringend er dem Vater von der Verfassung abgeraten, wie frech und 
lieblos er sich soeben erst in Fulda mit seiner Frau Lehmann gegen seine 
Mutter betragen hatte. Wie unheilvoll hatte doch alles zusammengewirkt, 
um diesen letzten Fürsten eines ruhmreichen Hauses einem schmählichen 
Falle entgegenzuführen. Freudlos und freundlos war er aufgewachsen, 
in ewigem Hader erst mit dem Vater, dann mit beiden Eltern, schlecht 
erzogen, von Ränken umringt, vom Morde bedroht, ohne Kenntnisse, 
kleinlich, gewöhnlich in allen seinen Neigungen. So ward er zum bos- 
haften Menschenverächter; der seltsame, halb scheue, halb stiere Blick seiner 
wasserblauen Augen verriet schon, daß er alle fürchtete, keinen ehrte, 
jedem die schlechtesten Beweggründe unterschob. Ein höheres sittliches 
Ideal als die formale Gesetzlichkeit blieb ihm unfaßbar. Schüchtern und 
linkisch im Verkehre, kaum fähig einen längeren Satz zu Ende zu sprechen, 
konnte er zuweilen in rasendem Jähzorn auffahren und dann verschlug 
es ihm wenig, den Beamten Fußtritte zu versetzen, den Ministern selbst 
brutale Schimpfworte, nach Umständen auch ein Tintenfaß an den Kopf 
zu werfen. Seine Staatsweisheit lief auf das einfache: Ordre parieren 
und nicht räsonnieren! hinaus; als Absolutist ohne Phrase liebte er weder 
die Salbung der theologischen, noch die Romantik der feudalen Reaktions- 
lehren. 
Die Verfassung durfte er nicht brechen, schon weil er ihr allein die 
Regentschaft verdankte und weil sein Vater jederzeit zurückkehren konnte; doch 
er haßte sie wie einen persönlichen Feind, denn sie verkümmerte ihm sein 
Familienleben, das einzige Glück, dessen er fähig war. Gertrud Lehmann 
war jetzt seine rechtmäßige Gemahlin; er hatte sie vor kurzem, nachdem 
ihre Ehe getrennt worden, insgeheim geheiratet und erhob sie — es war 
die erste Tat seiner Regierung — zur Gräfin von Schaumburg. Wie 
verschwenderisch hatten doch einst seine Vorfahren ihre Dirnen und Ba- 
starde ausgestattet. Er aber konnte für seine Gattin und seine ehelichen 
Kinder, die er auf seine Weise liebte, nur wenig tun; sein Einkommen 
genügte, trotz der äußersten Sparsamkeit und trotz der Beihilfe Amschel 
Rothschilds, kaum für die Kosten des Hofhalts, da sein Vater den Haus- 
schatz für sich behielt, und an den Staatsgeldern durfte der konstitutionelle 
Fürst sich nicht mehr vergreifen. Leider ward die Lage des Prinzregenten 
auch durch die Schuld der Mutter verschlimmert. Wenn die Kurfürstin 
sich entschloß, über das Vergangene hochherzig einen Schleier zu werfen, 
wenn sie die Gemahlin ihres Sohnes, die nunmehr ein untadelhaftes Leben 
führte und allen Staatsgeschäften fern blieb, als ihre rechtmäßige Schwieger- 
tochter behandelte, so konnte vielleicht wieder ein geordnetes häusliches Leben
	        
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