Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Dritter Abschnitt. 
  
Preußens Mittelstellung. 
Die einfachen Formeln der Geschichtsphilosophie werden der viel— 
gestaltigen Fülle des historischen Lebens niemals gerecht. Weitum in der 
aufgeklärten Welt meinte man den Charakter des neuen Zeitalters längst 
durchschaut zu haben: der entscheidende Kampf zwischen dem Königtum 
von Gottes Gnaden und dem konstitutionellen Vernunftrecht schien an— 
gebrochen, und kein Thron Westeuropas noch der Zukunft sicher, wenn 
er sich nicht mit parlamentarischen Formen umgab. Gleichwohl überstand 
Preußen die Stürme der Zeit unter allen deutschen Ländern am glück— 
lichsten. Dieser Staat mit seinem vielgeschmähten unbeschränkten König— 
tum zeigte eine jedes liberale Gemüt beleidigende Kraft und Gesund— 
heit. Ein Felsen im brandenden Meere, stand er inmitten des Aufruhrs, 
der alle seine Grenzen umtobte. Während er mit seinen Waffen die 
Marken des Vaterlandes am Rhein und an der Prosna schirmte, rettete 
er den Deutschen durch die unerschütterliche Strenge seines Rechtes einen 
fruchtbaren Schatz altüberlieferten Ansehens, monarchischer Treue, gesetz- 
lichen Sinnes, nationalen Stolzes. Die alte Ordnung der Gesellschaft, 
die in Sachsen, Hessen, Hannover erst gebrochen werden mußte, war in 
Preußen vorlängst zerstört, und die neufranzösischen Schlagworte des süd- 
deutschen Liberalismus konnten in dem Volke des Befreiungskrieges nur 
langsam Eingang finden. 
Von politischen Unruhen blieb Preußen so gänzlich verschont, daß 
die Staatsgewalt ungewöhnlicher Vorkehrungen kaum bedurfte. Ein roher 
Aufruhr des Nachener Pöbels im August 1830 war offenbar durch die 
Arbeiterbewegung im nahen Verviers veranlaßt; die Meuterer richteten 
ihren Groll nur gegen die arbeitsparenden Maschinen Cockerills und wider 
die Häuser einiger verhaßten Fabrikanten, die bewaffnete Bürgerschaft trieb 
sie bald zu Paaren. Noch weniger bedeutete das wüste Geschrei, das an 
einigen Septemberabenden in den Straßen Berlins, selbst vor den Fenstern 
des Königs erklang; die Schneidergesellen, die über die Kargheit ihrer 
Meister, über den freien Wettbewerb der Näherinnen zürnten, führten 
den lärmenden Haufen an, und auch hier riefen die Arbeiter: nieder mit 
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