Der Kampf um die Parlamentsherrschaft. 11
lichkeiten, die allerdings in die Sinne fielen: in England wie in Frank—
reich war auf die Zeit der Bürgerkriege die Herrschaft eines genialen
Tyrannen und dann, gegen den Willen des ruhmreichen Heeres, die
Herstellung des rechtmäßigen Königshauses gefolgt; hier wie dort ward
der alten, dem Erlöschen nahen Dynastie unerwartet noch ein Erbe ge—
boren, hier wie dort stand ein unzufriedener Prinz lauernd neben dem
Throne. Warum sollte nicht auch Frankreich sich die Freuden einer
zweiten Revolution gönnen? sie hatte ja, wie Thiers gemütlich bemerkte,
„nichts zu zerstören außer der Dynastie“!
Die Erbitterten wollten nicht sehen, daß allein in dem unbestreit—
baren Erbrechte des königlichen Hauses der Ehrgeiz der Parteien seine
letzte Schranke, die gesetzliche Freiheit ihre letzte Bürgschaft finden konnte.
Für das leichtsinnige junge Geschlecht, das in den Schulen der neuen
Universität herangewachsen war, hatte das Zeitalter der Revolution keine
Schrecken mehr. Wie verführerisch erschienen die Greuel jener Tage
in Thiers' gefeiertem Geschichtswerke; selbst in Mignets ruhiger ge—
haltenem Buche über die Geschichte der Revolution, einem Meisterwerke
gedrängter, klarer, lebendiger Erzählung, schwieg die Stimme des Ge—
wissens gänzlich; beide redeten, als ob eine rätselhafte Schicksalsmacht die
ewigen sittlichen Gesetze des Völkerlebens fünfundzwanzig Jahre hindurch
für die Franzosen außer Kraft gesetzt hätte. So verloren sich die liberalen
Parteien in die Traumwelt einer Doktrin, die für unwiderleglich galt, ob-
gleich sie von Widersprüchen strotzte, die sich monarchisch nannte, obgleich
sie auf dem republikanischen Gedanken der Volkssouveränität ruhte. Man
wähnte die Charte zu verteidigen und bestritt der Krone ein Recht, das
ihr die Charte unzweifelhaft gewährte; man sprach von der Unverantwort—
lichkeit des Monarchen, von der Regierung seiner allein verantwortlichen
Räte und behielt dem Volke doch die Befugnis vor, den König zu ent—
thronen, falls er dem Willen der Kammern sich nicht beugte.
Dieser Doktrin der rechtmäßigen Revolution trat aber, ebenso leicht—
fertig und ebenso dünkelhaft, die Doktrin der rechtmäßigen Staatsstreiche
gegenüber. Auch König Karl steifte sich auf sein natürliches Recht: er wolle,
so vermaß er sich, lieber Holz schlagen, als seine Krone ebenso tief wie
die englische erniedrigen lassen. Für den ärgsten Fall hielt sein Polignac
eine Rechtslehre bereit, die ersichtlich der jakobitischen Königskunst des
Hauses Stuart nachgebildet war: da die Charte ein freies Geschenk der
königlichen Gnade sei, so dürfte der Monarch jederzeit seine ursprüngliche
Vollgewalt wieder an sich nehmen und einzelne Sätze der Verfassung
beseitigen, um nachher wieder in den Weg des Gesetzes einzulenken; die
Charte bestimmte ja selbst im Art. 14, daß der König die zur Sicher—
heit des Staates erforderlichen Verordnungen erlassen solle; und schon
einmal, im Jahre 1816, war das Wahlgesetz, zur Befriedigung des Lan—
des, durch eine königliche Ordonnanz einseitig abgeändert worden. Sicher