Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

14 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
in der Hauptstadt los. Während die Besitzenden, nach der unverbrüch— 
lichen Gewohnheit der Pariser Bourgeoisie, sich in ihren Häusern ver— 
steckten, eilten die napoleonischen Veteranen und die republikanische Jugend 
aus den Schulen, den Fabriken, den Werkstätten — allesamt geschwo— 
rene Feinde der Dynastie — freudig auf die Barrikaden. Dies alte 
Kampfmittel aus den Straßenschlachten der Hugenotten und der Fronde 
war vor drei Jahren wieder in Gebrauch gelangt und wurde wie alle die 
anderen Wunder neufranzösischer Freiheit von den Nachbarvölkern ge— 
lehrig aufgenommen, so daß in den nächsten zwei Jahrzehnten fast jede 
Hauptstadt des Festlandes sich einmal mindestens den Genuß eines Barri— 
kadenkampfes vergönnte. 
Am ersten Tage des Aufstandes erklang noch der Ruf: Es lebe die 
Charte; am zweiten hieß es schon: nieder mit den Bourbonen, es lebe 
die Freiheit, die Republik — oder auch Napoleon II.; dreifarbige Fahnen 
wehten überall, und zugleich begann der dem französischen Gemüte so 
wohltuende Kampf gegen Stein und Erz, die königlichen Lilien wurden, 
wo sie sich nur zeigten, herausgehauen, abgerissen, besudelt, verbrannt. 
Nach drei Tagen gaben die schlecht geführten und nicht ganz zuverlässigen 
Truppen das Spiel verloren. Ein maßloses Selbstgefühl schwellte den 
Siegern die Herzen. Wie überschwenglich war, alle diese Jahre hindurch, 
die Heldentat der Bastillestürmer gepriesen worden, die feige Nieder— 
metzelung einer Handvoll Invaliden durch eine Pöbelmasse. Diesmal hatte 
das Pariser Volk wirklich einen schweren Kampf siegreich durchgefochten, 
mit Mut und Ausdauer, und nicht ohne ritterliche Hochherzigkeit; denn 
die Ausbrüche grausamer Wut, an denen sich besonders die Verwilderung 
der Gassenjugend offenbarte, blieben doch vereinzelt. Nun war dies Frank— 
reich wieder das gelobte Land der Freiheit, berechtigt, durch die Propaganda 
seiner Revolution die dankbaren Völker zu beherrschen und zu beglücken. 
Irgendeinen bestimmten Plan für die Zukunft hegten die Sieger der 
Julischlacht freilich ebensowenig wie der greise Lafayette, der, zum Be— 
fehlshaber der wiederhergestellten Nationalgarde erhoben, sich wieder selbst- 
gefällig auf den Wellen der Volksgunst wiegte und wieder lediglich die 
hohlen Kraftworte seiner alten Menschenrechte zu wiederholen wußte. Nur 
der Haß gegen die Bourbonen, nur eine unklare revolutionäre Leiden- 
schaft hatte diese jungen Radikalen auf die Barrikaden geführt. 
Sofort nach der Entscheidung traten aber die Führer der parlamen- 
tarischen Opposition aus ihren Schlupfwinkeln hervor; die aufgelöste Kam- 
mer versammelte sich eigenmächtig, um den Straßenkämpfern die Frucht 
ihres Sieges zu entwinden. Der König verweilte unterdessen auf den 
Schlössern in der Umgegend der Hauptstadt; völlig entmutigt nahm er 
nunmehr (30. Juli) die Ordonnanzen zurück und versuchte ein gemäßigtes 
Kabinett zu bilden. Wenn unter den monarchischen Parteien noch einige 
Treue und Entschlossenheit lebte, so konnte nach diesem Eingeständnis des
	        
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