Bedeutung der Sechs Artikel. 273
den Landständen das Recht der unbeschränkten Steuerverweigerung. Die
Zeitungsverbote standen in Einklang mit dem Bundespreßgesetze, und
wenn der Bund „zur Erhaltung der inneren Sicherheit“ auch die Vereine
und Versammlungen überwachte, so durfte er sich auf die freie Zustimmung
der sämtlichen deutschen Souveräne berufen.
Doch unmöglich konnte die tief enttäuschte liberale Partei sich bei der
formalen Gesetzlichkeit der Bundesbeschlüsse beruhigen. Die Sechs Ar—
tikel erschienen vier Wochen nach dem Hanbacher Feste; sie wurden da-
her, obgleich sie schon seit Monaten vorbereitet waren, allgemein als die
Antwort des Bundestags auf die Hambacher Drohreden, als ein Werk
schimpflicher Angst betrachtet, und alle Welt erzählte sich, daß Metternich
geäußert haben sollte: „das Hambacher Fest, wenn es gut benutzt wird,
kann das Fest der Guten werden, die Schlechten haben sich mindestens
zu sehr übereilt.“ Wie zuversichtlich hatte man gehofft, der neue Tag,
den der schmetternde Weckruf des gallischen Hahnes angekündigt, werde
auch den Deutschen die Preßfreiheit und die Parlamentsherrschaft bringen,
und nun legte der Bundestag die vorhandenen bescheidenen Rechte der
Landtage im strengsten monarchischen Sinne aus. Immer nur der Stein
statt des Brotes: statt der Preßfreiheit eine gehässige Verfolgung, die
neben den revolutionären Schriften doch auch gebildete und wohlmeinende
Blätter, wie Rottecks Annalen, mit ihren Peitschenschlägen traf. Wie
schwärmerisch hatte man sich nach der Herrlichkeit eines großen Vater—
landes gesehnt, und nun ward der Nation sogar ihre in ehrlicher Be—
geisterung entfaltete neue Trikolore verboten. Im Wächter am Rhein
klagte Stromeyer: „So verschwinde denn für einen Augenblick vor dem
Antlitz deiner Feinde, o du heilige Dreifarbe, du himmlisches Bild der
Reinheit und des mutigen Ernstes! Ziehe dich zurück auf unsere nackte
Brust. Dort hüpft dir grüßend jeder Schlag unseres Herzens entgegen
und empfängt von dir die elektrische Einströmung des heiligen Feuers.“
So schwülstig auch die Worte klangen, die Klage selbst war vollberechtigt:
welch ein verschrobener, unwahrer Zustand, wenn die höchste deutsche Be—
hörde, in der sich die Einheit der Nation verkörpern sollte, das Symbol
der Einheit wie ein verbrecherisches Abzeichen verfolgte!
Auch der Inhalt der Sechs Artikel selbst bot dem Liberalismus guten
Grund zum Mißtrauen; denn auch sie litten, wie alle Bundesbeschlüsse, an
jener gefährlichen Vieldeutigkeit, welche die gesetzgeberischen Arbeiten juri—
stischer Dilettanten gemeinhin auszeichnet. Diese Eigentümlichkeit der Bun-
desgesetzgebung war in Frankfurt selbst so bekannt, daß Blittersdorff einmal
mit seiner gewohnten cynischen Dreistigkeit bei seinem Minister anfragte:
Es gibt eine zweifache Auslegung der Bundesgesetze, eine konstitutionell—
liberale und eine monarchische; welche von beiden soll ich jetzt anwenden?“)
*) Blittersdorffs Bericht, 7. Jan. 1832.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 18