Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

364 IV. 6. Der Deutsche Zollverein. 
der Historiker nicht so kurzerhand zurückweisen, wie der Strafrichter, der 
unbedenklich freispricht, wenn sichere Beweise fehlen. Erst im Jahre 1875 
entschloß sich der badische Hof, die Urkunden über den Tod jenes Erbprinzen 
zu veröffentlichen. Seitdem ist durch die Schriften von O. Mittelstädt 
und A. v. d. Linde das Lügengewebe endlich zerrissen worden, und wenn- 
gleich manche Einzelheit noch dunkel bleibt, so hat doch die Frage, woher der 
Betrüger eigentlich stammte, heute jeden historischen Wert verloren. — 
  
Nach alledem war eine Verständigung zwischen Bayern und Baden 
vorläufig undenkbar. Der deutschen Handelseinheit aber kam jener ab- 
lehnende Beschluß der badischen Kammern seltsamerweise zugute. Der 
künstliche Gedanke, zunächst den süddeutschen Verein zu vergrößern und 
dann erst die Vereinigung mit dem Norden zu suchen, war fortan be- 
seitigt. Die oberdeutschen Königshöfe, außerstande, ihren unergiebigen 
Sonderbund aufrecht zu halten, sahen sich genötigt, statt des Notbehelfs 
sogleich das durchschlagende Mittel zu wählen; sie stellten jetzt bei dem 
preußischen Kabinett den Antrag auf völlige Vereinigung. Im Dezember 
1831 wurden die Verhandlungen in Berlin eröffnet. Doch sofort ergab 
sich eine Fülle gewichtiger Bedenken. Preußen hatte schon durch die Auf- 
nahme der beiden Hessen ein fühlbares finanzielles Opfer gebracht; der 
Ertrag seiner Zölle, der um 1829 gegen 25,3 Sgr. für den Kopf der Be- 
völkerung abwarf, begann bereits zu sinken. Durfte man auch die ober- 
deutschen Lande, die von Kolonialwaren noch weit weniger verzehrten 
als die beiden Hessen, zu den gleichen Bedingungen aufnehmen? Die 
Finanzpartei in Berlin fürchtete schwere Verluste, wie denn in der Tat 
Preußen im Durchschnitt der Jahre 1834—39 nur 22 Sgr. auf den Kopf 
erhalten hat. Sie verlangte entschieden ein Präzipuum zu Gunsten 
Preußens; ein Ausfall in den Einnahmen schien hochbedenklich in so 
unruhiger Zeit. Die bayrisch-württembergischen Finanzmänner dagegen 
lebten in dem wunderlichen Wahne, daß die Konsumtion im Süden stärker 
sei als in Preußen; sie meinten schon seltene Großmut zu zeigen, wenn 
sie auch nur die Verteilung nach der Kopfzahl zustünden. 
Die Einführung der preußischen Konsumtionssteuern war in Hessen 
ohne Schwierigkeit erfolgt; Bayern aber sah sich außerstande, seine 
Malzsteuer abzuändern. Während Preußen kaum 1,3 Mill. Tlr., 3 Sgr. 
auf den Kopf, durch die Besteuerung des Bieres bezog, gewann Bayern 
allein in seinem rechtsrheinischen Gebiete 5 Mill. fl., 21 Sgr. auf den Kopf, 
und aus diesem Ertrage mußte nach der Verfassung die Staatsschuld ver- 
zinst werden. Unmöglich konnte Preußen seine Biersteuer zu der gleichen 
Höhe hinaufschrauben. Der angestammte Durst ließ sich ebensowenig in 
den Norden verpflanzen wie die Realgerechtigkeiten der bayrischen Brauer, 
die jenen reichen Steuerertrag erst ermöglichten, aber den Grundsätzen der
	        
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