Siebenter Abschnitt.
Das Junge Deutschland.
Veränderungen seines Länderbestandes hat jedes große Volk von Zeit
zu Zeit erlebt, aber nur den Deutschen beschied eine wechselreiche Ge-
schichte, daß sich die Marken ihres Vaterlandes die Jahrhunderte hindurch
fast unaufhörlich verschoben und niemand zu sagen wußte, welchen Ge-
bieten eigentlich der große Name Deutschland gebühre. Derweil das alte
Reich seine welschen Vorlande im Süden und Westen verlor, Osterreich,
die Schweiz, die Niederlande ihrem Sonderleben überließ, erwuchs ihm
ein köstlicher Ersatz in den Kolonien jenseits der Elbe, und aus diesen
Landen des Nordostens, die zum guten Teile dem Reichsverbande nicht
angehörten, erhoben sich die staatenbildenden Kräfte unserer neuen Ge-
schichte. Auch der Deutsche Bund war gleich dem heiligen Reiche noch ein
unfertiges politisches Gebilde ohne feste Grenzen, halb weltbürgerlich, halb
national, zugleich zu weit und zu eng, mit Osterreich und noch drei an-
deren undeutschen Mächten wunderlich verkettet und doch den preußischen
Staat nicht ganz umschließend. Erst durch den Zollverein begann sich's
zu entscheiden, welche Teile der ewig beweglichen Ländermassen Mittel-
europas fortan das politische Deutschland der neuen Geschichte bilden
sollten. Er umfaßte, Österreich in weitem Bogen umklammernd, das
deutsche Land vom Memelstrom bis zum Bodensee — denn da die Küste
immer dem Binnenlande gehört, so war der Zutritt der Staaten des
hannöverschen Steuervereins nur noch eine Frage der Zeit — nicht alle
die Gebiete, auf denen einst der Ruhm des deutschen Namens geruht
hatte, aber ihren edlen Kern, die fröhliche Heimat deutscher Kunst im
Südwesten und die waffenstolzen Adlerlande des Nordens, herrliche Kräfte,
die im treuen Verein dereinst eine neue Zeit vaterländischen Glanzes her-
aufführen konnten. An den idealen Mächten der Sprache und Gesittung,
des rechtsbildenden Gemeingeistes, der Hoffnungen und Erinnerungen hatte
die Nation bisher das Bewußtsein ihrer Größe genährt; jetzt erlangte sie
auch die Gemeinschaft des wirtschaftlichen Lebens, den natürlichen Unter-
bau der politischen Einheit, der ihr immer gefehlt hatte. In denselben
schicksalsschweren Januartagen des Jahres 1834, da der Wiener Hof den