Die zweijährige Dienstzeit. 547
Heer fast unverändert zu erhalten: er betrug im Jahre 1838 nahezu
23½ Mill. Taler, wenig mehr als im Jahre 1820. Aber dieser finanzielle
Gewinn wurde durch schwere militärische Nachteile erkauft. Die Überzahl
der Rekruten nahm die Kräfte der Offiziere und Unteroffiziere unmäßig in
Anspruch. Während bisher, unter der Regel der dreijährigen Dienstzeit,
der tüchtige Infanterist hoffen konnte, zum Lohne für seine gute Führung
schon bald nach Ablauf seines zweiten Dienstjahres beurlaubt zu werden,
fiel dieser Stachel des Ehrgeizes, der in Volksheeren besonders wirksam
ist, jetzt hinweg, da jeder ohne Ausnahme seine zwei Jahre abdienen
mußte. Sehr bald bemerkten die Generale, daß die dreijährige Lehrlings-
zeit, die in den meisten deutschen Handwerken bestand, auch im Krieger-
handwerke der Regel nach nicht entbehrt werden konnte. Namentlich die
Felddienstübungen erschienen ihnen oft sehr mangelhaft. Während der
einen Hälfte des Jahres, solange die Rekruten noch nicht für den Feld-
dienst reif waren, konnte das Bataillon jetzt nur mit 250 Mann, einem
Viertel seiner Kriegsstärke ausrücken. Ein so schwaches Häuflein war aber
nur eine Kompagnie, nicht ein Bataillon, und die immer nahe liegende
Gefahr, daß Friedensübungen ein falsches Bild vom wirklichen Kriege
geben, ließ sich unter solchen Umständen kaum vermeiden. Die günstigen
Erwartungen, welche der Chef des Generalstabs, General Krauseneck bei
der Einführung der zweijährigen Dienstzeit gehegt hatte, erfüllten sich nicht.
Wohl wurde die Ausbildung des einzelnen Mannes eifrig gefördert
und namentlich das Scheibenschießen mit einer Sorgfalt gepflegt, welche
die Bewunderung der französischen Offiziere erregte. Jeden Fortschritt der
Technik suchte das Kriegsministerium gewissenhaft zu benutzen. Das preu-
ßische Heer war das erste in Europa, das durchweg mit den neuen Per-
kussionsgewehren bewaffnet wurde, und bereits begann man Versuche mit
dem Zündnadelgewehre, der Erfindung des Fabrikanten Dreyse in Söm-
merda. In den Kadettenhäusern hatte ihr langjähriger Leiter, der Freund
des Prinzen Wilhelm, General Brause, ein kräftiges Leben erweckt; sie
lieferten der Linie fast immer guten Ersatz. Umso schlimmer stand es bei
der Landwehr; unter ihren 3000 Offizieren vermochte wohl nur noch die
Hälfte strengen militärischen Anforderungen zu genügen, da die Kriegserfah-
renen nach und nach ausschieden, die Landwehrübungen um der Ersparnis
willen sehr verkürzt wurden; und doch konnte eine Truppe, die im Frieden
nur aus Cadres bestand, ausgezeichneter Offiziere am wenigsten entbehren.
Früherhin hatte der König selbst durch sein scharfes Eingreifen bei
den Manövern manchen Mißstand beseitigt; jetzt im Alter wurde er nach-
sichtiger und zeigte sich mit allem zufrieden — nicht zur Freude seines
Sohnes Wilhelm, der seit dem Tode des Herzogs Karl das Gardekorps
mit unnachsichtlicher Strenge befehligte. Erstorben war der Geist der
Befreiungskriege nicht. Das erkannte jedermann, als die alten freiwil-
ligen Jäger am fünfundzwanzigsten Jahrestage des Aufrufs vom 3. Febr.
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