Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Der Zuckerkrieg. 573 
Die Stärke dieser neuen Macht offenbarte sich sofort zur Überraschung 
des Beamtentums, als der Zollverein seinen ersten Handelsvertrag mit 
dem Auslande schloß, den Vertrag mit den Niederlanden vom 21. Januar 
1839. Seit dem Abfall Belgiens hofften die Holländer jene alte Handels- 
politik wiederherzustellen, welche ihnen einst zur Zeit des römischen Reichs 
so reichen Gewinn gebracht hatte: sie dachten Deutschland mit Kolonial- 
waren und Fabrikaten zu versorgen und dafür ihre Rohstoffe aus dem 
armen Hinterlande zu beziehen. Um zunächst den deutschen Zuckermarkt 
zu beherrschen, stellten sie ein Halbfabrikat her, den Lumpenzucker, der bei 
den Zollämtern als Rohzucker deklariert wurde. Aber die Zeit war nicht 
mehr, da die Deutschen wähnten, nur auf fremden Krücken gehen zu können; 
der Zollverein setzte sich zur Wehr und verfügte, daß der Lumpenzucker fortan 
gleich dem raffinierten Zucker, mehr als doppelt so hoch denn bisher, verzollt 
werden sollte (1836). Darauf folgten mehrjährige, verwickelte Unterhand- 
lungen: Holland gewährte der deutschen Rheinschiffahrt neue willkommene 
Erleichterungen und verlangte dagegen die Herabsetzung der Zölle auf 
seinen Lumpenzucker. Der König der Niederlande selbst und seine Tochter, 
die Prinzessin Albrecht von Preußen betrieben das Geschäft mit Feuereifer; 
sie meinten, die Oranier dürften jetzt doch einige Rücksicht erwarten, nach- 
dem man ihnen gegen die Belgier keine Hilfe gewährt habe.') Graf 
Alvensleben gab schließlich nach und bewilligte, daß der Zoll auf den hol- 
ländischen Lumpenzucker bis zur Hälfte ermäßigt wurde; er befürchtete 
sonst einen zu großen Ausfall in den Zolleinnahmen, und gleich ihm 
ließen sich auch die anderen Vereinsregierungen durch fiskalische Erwä- 
gungen bestimmen. Die Entscheidung erfolgte erst nach heftigem Streite, 
einer der ersten preußischen Finanzmänner, Geh. Rat Windhorn nahm 
deshalb seinen Abschied. *") Aber kaum war sie gefallen, so erhob sich ein 
Sturm in der gesamten Presse; alle Welt rief entrüstet, das heiße Deutsch- 
lands Interessen dem Auslande opfern. Die deutschen Siedereien und 
die Rübenzuckerfabrikanten beteuerten, unter solchen Umständen könnten 
sie den holländischen Wettbewerb nicht mehr bestehen, und der Erfolg gab 
ihnen recht. Die zwei großen Stettiner Siedereien kamen dem Untergange 
nahe; auch die Hansestädte, denen der Zollverein die gleiche Vergünstigung 
bewilligte, vermochten das siegreiche Holland nicht mehr aus dem Felde zu 
schlagen. 
Nur zu bald lag es klar am Tage: die erste diplomatische Tat 
der neuen nationalen Handelspolitik war ein schlimmer Mißgriff und 
zugleich eine Verletzung der Grundsätze des Zollvereins, der sonst alle 
Differentialzölle verwarf, diesmal aber einem unfreundlichen Nachbarlande 
— 
*) Berichte von Münchhausen, 23. April, 3. Juni 1837; von Frankenberg, 23. April, 
25. Mai 1837, 6. Dez. 1838, 25. Jan. 1839; von Berger, 27. März 1839. 
*“) Nach Kühnes Aufzeichnungen.
	        
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