574 IV. 8. Stille Jahre.
gefährliche Vorzugsrechte gewährte. Die Nation hatte mithin guten Grund
zur Klage, und sie sprach ihren Unwillen so entschieden aus, daß die
Regierungen sich schon nach zwei Jahren genötigt sahen, den unbe—
dachten Vertrag aufzukündigen. Also errang die öffentliche Meinung einen
ersten wohlverdienten Erfolg. Nirgends verriet sich ein Gefühl der Über—
hebung, obwohl es natürlich nicht an scharfen Ausfällen auf Mynheer und
die Politik des jusqu' à la mer fehlte; überall nur das gesunde Selbst—
vertrauen einer starken Nation, die endlich Herr im Hause sein wollte.
Der „Zuckerkrieg“ bewies, wieviel politisches Urteil und nationalen Stolz
dies Volk entfalten konnte, wenn sich ihm nur ein ernsthafter Gegenstand
darbot; er bewies auch, daß der Zollverein schon zu einer volkstüm—
lichen Macht geworden war, deren Wohl und Wehe jeden berührte. Mit
gutem Grunde sang damals Hoffmann von Fallersleben den Stiftern des
Zollvereins zu:
Denn ihr habt ein Band gewoben
Um das deutsche Vaterland,
Und die Herzen hat verbunden
Mehr als unser Bund dies Band.
Selbst den Gegnern begann allmählich einzuleuchten, daß eine so
stetig und sicher erstarkende Gemeinschaft sich nicht wieder auflösen konnte.
Wie Österreich seinen Kampf gegen den Zollverein in der Stille einstellte,
so mußten auch die stolzen deutschen Großbritannier lernen, mit der voll-
endeten Tatsache zu rechnen, obgleich ihr gefeierter Publizist Rehberg so-
eben noch zuversichtlich erklärt hatte, der Zollanschluß Sachsens an Preußen
sei eine bare Unmöglichkeit. Der neue hannöversche Steuerverein ver-
suchte eine Zeitlang den Schmuggel von Braunschweig nach dem Zoll-
vereinsgebiet zu unterstützen; doch auf Preußens entschiedene Forderung
wurde der Unfug abgestellt,) und bald fühlten beide Teile, daß sie sich
weit wohler befanden, wenn sie einander gegenseitig bei der Verfolgung
des Schleichhandels unterstützten.
Schwerer gewöhnte sich England an die neuen deutschen Zustände.
Palmerston äußerte sich hoch entrüstet über den Zollverein, als auch Frank-
furt sich den Banden der britischen Handelspolitik entwand. Da erwiderte
ihm der befreundete Hamburger Syndikus Sieveking: an alledem sei
England selbst mitschuldig.“*) In der Tat hatten die britischen Kornzölle
bei dem Ausbau der deutschen Zolleinheit als unfreiwillige Bundesgenossen
kräftig mitgeholfen. Hätte England nach dem Befreiungskriege den schutz-
losen deutschen Staaten durch kluge Handelsverträge die Einfuhr ihrer
Naturerzeugnisse erleichtert, so wäre der überlegenen britischen Industrie
wohl noch für lange Zeit die Herrschaft auf dem deutschen Markte ge-
sichert, unserem Gewerbefleiße die Selbständigkeit erschwert worden. Der
*) Frankenbergs Bericht, 11. Jan. 1836.
**) Blittersdorffs Bericht, 21. Juli 1835.