Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Rotteck über den Zustand des Vaterlandes. 629 
schiedener Feind, nicht bloß Opponent der Regierung auftreten, verlangen 
Sie noch schonlich behandelt zu werden? Nein, Herr Hofrat! So sanft— 
mütig können und dürfen wir uns nicht benehmen, nicht aus Persönlich— 
keit oder Rachsucht, nein, sondern im Interesse der Regierung gegen innen 
und außen.“ So grob, so ungerecht sogar durfte er reden — denn Rot— 
tecks Preußenhaß entsprang wirklich nicht persönlicher Empfindlichkeit, 
sondern dem doktrinären Starrsinn — und doch verargte es ihm niemand. 
Einem solchen Manne konnte es nicht schwer fallen, die liberale Partei 
zu zerspalten, ihre gemäßigten Mitglieder an sich zu ziehen; ohnehin be— 
gann die Erregung der Revolutionsjahre schon zu schwinden. Seinem 
Schwager, dem liberalen Fürsten von Fürstenberg redete der Großherzog 
persönlich zu, auf Otterstedts Bitten, und der Fürst blieb schließlich eine 
Weile den Kammerverhandlungen fern.“) So verliefen denn die Land— 
tage von 1833 und 35 in leidlichem Frieden. Wohl versuchte Rotteck in 
einer feierlichen Motion ein videant consules auszusprechen; er verlangte 
eine Kommission, „um den Zustand des Vaterlandes in Erwägung zu 
ziehen“, eine Rechtsverwahrung wider die Bundesbeschlüsse, obgleich der 
Großherzog in gemütlicher Ansprache den Abgeordneten versichert hatte, 
daß schlechterdings keine Verletzung der Verfassung beabsichtigt sei. Die 
Kammer aber verwies den Antrag in die Abteilungen zur stillen Bestat- 
tung, und Winter verbot die Veröffentlichung; nur in den Protokollen, 
wo niemand sie las, durfte die Motion gedruckt werden. Dann kam 
Welcker mit einer ähnlichen Motion und redete gewaltig über „den fünf- 
zigjährigen, blutigen, organischen Prinzipienkampf zwischen Volksfreiheit und 
schrankenloser Herrschergewalt“. Sogar die Schatten aus dem Teuto- 
burger Walde beschwor er herauf und weissagte: wenn Fürst und Volk 
einig seien, dann müsse „der neue Gegner deutscher Freiheit“ ebenso un- 
fehlbar unterliegen wie einst Varus mit seinen Legionen; soweit sich der 
Rede dunkler Sinn erraten ließ, schien der König von Preußen dieser 
andere Varus zu sein. Auch dies blieb vergeblich. Als Rotteck 1835 
noch einmal eine Motion auf Sicherstellung der Verfassung einbrachte, 
blieben die Hörer kalt, und der Antrag wurde nicht einmal in das Pro- 
tokoll aufgenommen; der tapfere Mann hielt unerschütterlich bei der Stange 
aus und bemerkte nicht den Wandel der Zeiten. Starken Anforderungen 
war der Bürgermut dieses badischen Liberalismus keineswegs gewachsen. 
Sobald die liberalen Städte Freiburg und Mannheim das Mißwollen der 
Regierung bemerkten, suchten sie alsbald durch glänzende Geburtstagsfeiern 
ihre badische Vaterlandsliebe zu erweisen. Als der Kronprinz von Preußen 
nach Heidelberg kam, wurde er zu seiner großen Verwunderung schon 
draußen in Handschuhsheim von berittenen Fackelträgern empfangen. Vor 
seinem Gasthofe paradierte dann die Bürgergarde. Abgesandte der Stadt 
— 
*) Otterstedts Berichte, 16. Mai 1833, 22. April 1835.
	        
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