Otto, König der Hellenen. 639
Also eingepreßt zwischen den hadernden Schutzmächten und den furcht-
bar erbitterten griechischen Parteien, mühten sich die Regenten vergeblich
ab, eine geregelte Verwaltung herzustellen; zahlreiche Verordnungen er-
schienen, alle nach bayrischem Muster, und Maurer verfertigte mit dem
eisernen Fleiße des deutschen Professors mehrere schöne Gesetzbücher. Aber
der in unfertigen Völkern immer reizbare Nationalstolz wollte von den
Bavaresi bald nichts mehr hören; die fleißigen deutschen Beamten blieben
dem Lande so fremd, daß heute selbst Armanspergs Name unter den
Hellenen fast verschollen ist. Wie wenig sie dies Volk kannten, das zeigte
sich bei dem langen Streite über die Verfassung. Gewiß war ein ein-
sichtiger Absolutismus für die Kulturstufe der Hellenen die beste Staats-
form; aber dazu gehörte ein Monarch, der durch persönliche Größe oder
durch ein unantastbares historisches Recht alle Untertanen überragte.
König Ottos Nichtigkeit konnte in einer fremden Nation keine Ehrfurcht
erzwingen, und sein Thronrecht verdankte er, wie er selbst gestand, nächst
dem Vertrauen der Schutzmächte „der freien Wahl des hellenischen Volks“.
Eine also begründete Dynastie durfte, wie schwer das auch halten mochte,
diesem durchaus demokratischen Volke das Recht der verfassungsmäßigen
Mitberatung nicht ganz versagen. König Ludwig jedoch riet dem Sohne
dringend ab. Alles konstitutionelle Wesen war ihm verleidet, und er
schrieb: „Nicht zu reiflich überdacht kann die Einführung einer Verfassung
werden. Es ist die Höhle des Löwen, aus der keine Fußtapfen gehen;
sie hat Folgen, die man gar nicht voraussieht. O möchte doch die trau-
rigen auch hierin gemachten Erfahrungen Bayerns Hellas zu Rate ziehen,
indem es die Fehler vermeidet, die begangen wurden.“ Sein Rat schlug
durch, und der unfähige junge Fremdling regierte weiter als absoluter
Herr — ein Zustand, der doch noch unleidlicher war als die Sünden eines
verfrühten Parlamentarismus. So bildete sich bald eine starke liberale
Opposition; sie fand, da Palmerston hier wie überall das konstitutionelle
Banner aufpflanzen ließ, geheime Hilfe bei dem englischen Gesandten,
derweil die Vertreter Rußlands und ÖOsterreichs den jungen Wittels-
bacher in seinen absolutistischen Grundsätzen bestärkten.
Noch schwerer verletzten die Bavaresi das religiöse Gefühl des ortho-
doxen Volkes. Viele Klöster wurden aufgehoben — diesmal gegen den
Rat König Ludwigs — die Zahl der Bischöfe verringert, die Landeskirche
von dem Patriarchen von Konstantinopel abgetrennt; und doch gebot die
Klugheit, die uralte kirchliche Gemeinschaft der Orthodoxen auf der Balkan--
halbinsel sorgfältig zu schonen, wenn anders die Hoffnungen der Griechen
auf die Kaiserkrone von Byzanz sich je erfüllen sollten. Für diese stolzen
nationalen Wünsche zeigten die friedfertigen, im Lande der Pinakotheken
und Glyptotheken aufgewachsenen Regenten gar kein Verständnis. Offen-
bar hatte der Agon der Hellenen sein Ziel noch nicht erreicht; die Nation
vermochte in den allzu engen Grenzen kaum zu atmen, sie mußte danach