Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

650 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. 
behielt die überreichten silbernen Schlüssel der Stadt bei sich; so tat er 
fortan immer, in seiner Hut sollte das Land sicher aufgehoben sein. Ohne 
die Beleuchtung der Hauptstadt eines Blickes zu würdigen, arbeitete Ernst 
August bis in die Nacht hinein zusammen mit Schele. Der Name dieses 
reaktionären Heißsporns sagte alles; und wenn man ihn nur für einen 
ehrlichen Fanatiker hätte halten können! Er war aber einst trotz seiner 
legitimistischen Gesinnung freiwillig in den Staatsrat des Königs Jerome 
eingetreten; Vertrauen fand er nirgends. Am nächsten Tage versammelte 
sich der Landtag; jedermann erwartete, der König werde nunmehr, wie 
das Staatsgrundgesetz vorschrieb, durch ein Patent seinen Regierungsan- 
tritt anzeigen und die Aufrechthaltung der Verfassung geloben. Statt 
dessen erschien plötzlich eine königliche Verordnung, welche die Landstände 
vertagte. Die erste Kammer gehorchte alsbald dem Befehle, in der zweiten 
fragte der Vorsitzende Rumann sichtlich betroffen, ob niemand etwas zu 
dem verlesenen Aktenstücke zu bemerken habe. Da erhob sich Stüve, noch 
völlig ratlos; er hatte einen Staatsstreich für unmöglich gehalten, weil 
er mit seinem Machiavelli glaubte, daß die Menschen weder ganz gut, 
noch ganz böse zu sein verstehen.) In seiner Verwirrung brachte er nur 
die Worte hervor, Seine Majestät habe die Regierung wohl noch nicht 
angetreten. Er hoffte, andere Abgeordnete würden ihm beistehen. Aber 
alles schwieg bestürzt: ein rechtsgültiger Beschluß war ohnedieerste Kammer 
unmöglich, und wer konnte denn wissen, ob nicht, derweil man hier saß, 
das königliche Patent schon erschienen war? Auch die zweite Kammer ging 
ruhig auseinander. 
Dergestalt hatte der schlaue Welfe durch eine wohlberechnete Über- 
raschung die Stände verhindert, das Recht des Landes feierlich zu ver- 
wahren. Inzwischen wurde Schele zum Kabinettsminister ernannt, und 
obwohl er selbst schon als Geheimer Rat den Verfassungseid geleistet hatte, 
so ließ er sich's doch wohl gefallen, daß der König aus seinem neuen Dienst- 
eide die Verpflichtung auf das Staatsgrundgesetz eigenhändig ausstrich. 
Schele blieb vor der Hand der einzige vertraute Ratgeber des Welfen. 
Auf Münsters Beistand war nicht zu rechnen; der Graf dachte doch zu 
vornehm, um sich an dem Gewaltstreiche selbst zu beteiligen, wenngleich er 
die Demütigung seiner alten Gegner nicht ohne Schadenfreude betrachtete, 
und war überdies mit Cumberlands Eigenwillen niemals gut ausgekommen. 
Der neue Minister riet nun, der König möge sofort den Landtag auf- 
lösen und die alte Verfassung von 1819 wieder in Kraft setzen, so gewinne 
man alsbald einen festen Rechtsboden..“) Dazu konnte sich Ernst August 
nicht verstehen. Sogleich nach seiner Ankunft aus der Fremde die ge- 
  
*) Nach der oben angeführten Biographie Stüves. 
*) So erzählt Schele selbst in den Randbemerkungen zu den Berichten seines Sohnes 
v. 1. und 18. Aug. 1837.
	        
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