678 IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
Landes zu sprechen. Der Welfe hatte sein eigenes Volk unritterlich ent—
waffnet, wie Canitz bitter sagte, er hatte durch die Auflösung des recht—
mäßigen Landtags die einzige Körperschaft vernichtet, welche unzweifelhaft
berechtigt war, beim Bundestage die Wiederherstellung des Staatsgrund-
gesetzes zu verlangen. Doch unmöglich konnte der ernste Streit mit solchen
Formbedenken erledigt werden. Wenn das hannöversche Volk nicht reden
durfte, so war doch sicherlich der Bund selbst verpflichtet, den Art. 56 der
Schlußakte aufrecht zu halten.
Demnach sprach der Bundestag, indem er die Osnabrücker abwies,
zugleich die Erwartung aus, daß Hannover noch eine weitere Erklärung
über seine Verfassungsverhältnisse abgeben werde, und Stralenheim ver-
sprach binnen vier bis sechs Wochen dieser Aufforderung zu genügen. Die
entscheidende Abstimmung stand also noch bevor. Aber die Frist verstrich;
Ernst August hoffte noch immer die Dinge so lange hinzuhalten, bis er
die Bundesversammlung durch die vollendete Tatsache einer neuen han-
növerschen Verfassung zur Seite schieben könnte. Erst am 29. November,
in dem Augenblicke, da der Bundestag sich auf mehrere Monate vertagte,
zeigte Stralenheim an, die versprochene Erklärung sei jetzt den Bundes-
regierungen zugegangen; er hatte sie während der Sitzung den Bundes-
gesandten ins Haus gesendet, und diese konnten, da sie weder das Aktenstück
selber kannten, noch von daheim eine Weisung erhalten hatten, nicht einmal
mehr gegen diese Verhöhnung des Bundestags sich verwahren. Es war
unmöglich, eine schlechte Sache mit schlechteren Mitteln zu verteidigen.
Die überraschte Versammlung trennte sich ohne einen Beschluß, der
Unmut vermochte sich nur in leidenschaftlichen Gesprächen zu äußern.
General Schöler selbst, den das welfische Treiben mehr und mehr an-
widerte, wagte nur wehmütig den dringenden Wunsch auszusprechen, „daß
dieser Vorgang bei dem großen Publikum nicht zur Vermehrung der ohnehin
schon so weit gehenden Nichtachtung des Bundestags beitragen möge;“ er
befürchtete sehr schlimme Folgen für Deutschland, wenn Ernst August sich
nicht bald mit seinem Lande versöhne.) Die hannöversche Erklärung war
nicht an den Bundestag gerichtet, sondern an die einzelnen Regierungen,
so daß sie gar nicht in die Bundesprotokolle aufgenommen werden durfte
und selbst der immer bedächtige sächsische Minister Zeschau eine solche Un-
gezogenheit ganz unerträglich fand..“) Sie bestand aus zwei Denkschriften,
von denen die eine nochmals behauptete, die Verfassung von 1819 bestehe
zu Recht, weil der alte Landtag versammelt sei. Also mußte die gutmütige
Nachgiebigkeit seiner Untertanen dem Welfen in der Tat als eine Schlinge
dienen, wie Canitz vorausgesagt. Die zweite Denkschrift suchte zu be-
weisen, das Staatsgrundgesetz sei ungültig, wegen seiner formalen Mängel
*7) Schölers Berichte, 30. Nov., 5. Dez. 1838.
**) Jordans Bericht, 24. Jan. 1839.