Zehnter Abschnitt.
Der Kölnische Bischofsstreit.
Seit jenen Tagen, da der Freiherr vom Stein den Sultanismus der
Könige von Napoleons Gnaden anklagte, war die Zerrüttung des öffent-
lichen Rechts, die Zuchtlosigkeit der souveränen Fürstengewalt dem kaiser-
losen Deutschland nicht wieder so beschämend vor die Augen getreten wie
in den Zeiten des welfischen Staatsstreichs. Ein Frevel, der nicht wie
einst die Gewalttaten der Rheinbundsfürsten durch das Gebot der Selbst-
erhaltung entschuldigt werden konnte, fand in Deutschland keinen Richter;
die höchste deutsche Behörde versagte sich feig ihrer Pflicht. Was man an
den Höfen Ordnung nannte, war in Wahrheit die verewigte Anarchie,
und das Verlangen nach einer starken nationalen Zentralgewalt, welche
die Willkür der kleinen Gewalthaber bändigen sollte, entsprang nicht der
revolutionären Leidenschaft, sondern dem gesetzlichen Sinne. Wer jetzt
noch die Stirn hatte, den inkompetenten Bundestag zu verteidigen, konnte
sich mit denen nicht mehr verständigen, die an der friedlichen Entwicklung
dieses entwürdigten Bundes verzweifelten. Die politischen Parteien be-
kämpften einander so unversöhnlich, wie in der Literatur Heine und die
Schwaben, Schlosser und Hurter, Strauß und die Orthodoxen. Selbst
mutige Männer wie Heinrich Leo fühlten sich schier vom Alpdruck eines
beängstigenden Traumes gepeinigt, wenn sie die unheimliche Gärung, die
furchtbaren Gegensätze des deutschen Lebens betrachteten. Und in dieser
Welt des Unfriedens entbrannte auch noch ein kirchenpolitischer Streit, der
alle Leidenschaften des Dreißigjährigen Krieges wieder zu erwecken, das
teuerste Gut der Nation, den schwer erkauften Frieden der Glaubens-
bekenntnisse zu vernichten drohte.
Der preußische Staat geriet zum ersten Male in offenen Krieg mit
dem wieder erstarkten Papsttum und mußte nach einem kurzen Waffen-
gange den Rückzug antreten. Er kämpfte, im Geiste seiner Geschichte, für
den Gedanken der Parität, aber er kämpfte mit den Waffen des polizeilichen
Zwanges und einer gänzlich veralteten Kirchenpolitik, so daß er vor der
Welt als ein Bedränger der Gewissensfreiheit erschien und überdies durch
das Ungeschick seiner Diplomaten in den Ruf der Zweizüngigkeit kam.