90 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
angegriffenen Teile; nachher wurde unter der Oberaufsicht von Kommis-
saren der Schutzmächte die völlig zerrüttete bürgerliche Ordnung in dem
kleinen Staate notdürftig wiederhergestellt.-)
Der verblendete Trotz der Polen bewirkte indessen, daß die erweiterte
Amnestie ihnen wenig Vorteil brachte. Die einen wollten den Ver-
heißungen des erzürnten Zaren keinen Glauben schenken, andere bauten
noch immer auf die leeren Verheißungen Lafayettes und hofften über
kurz oder lang mit Hilfe der französischen Radikalen den allgemeinen
Umsturz herbeizuführen. Diese Fanatiker, allen voran der nach Dresden
geflüchtete tapfere General Bem, übten die Künste des allen Polen ge-
läufigen Parteiterrorismus mit solchem Erfolge, daß die Mehrzahl der
Harmlosen eingeschüchtert und die Heimkehr von den Offizieren bald als
Verrat angesehen wurde. Tausende freiwilliger Auswanderer, die sich
fälschlich für Verbannte ausgaben, überschwemmten Westeuropa; sie ver-
schmähten daheim friedlich für ihr Vaterland zu arbeiten, was den meisten
straflos gestattet war, und verfielen dem schlechten Handwerke der Ver-
schwörer. Die tragische Schuld der Teilungen Polens suchte den Welt-
teil mit immer neuen Leiden heim. Die polnische Emigration ward ein
Fluch Europas, ein Herd des Unfriedens, wie die preußische Regierung
vorausgesagt. Zwei Jahrzehnte hindurch bildeten die polnischen Flüchtlinge
die verbindende Kette zwischen den radikalen Parteien aller Länder; sie
schürten jeden Aufruhr und fochten auf jeder Barrikade.
Zar Nikolaus aber blieb fortan neben Metternich der verhaßteste
Mann Europas. Er verdankte diesen Ruf zum Teil den ungeheuer-
lichen Märchen der polnischen Flüchtlinge, mehr noch dem harten Straf-
gerichte, das er über die Unterworfenen verhängte. Nach seiner Über-
zeugung waren alle Freiheiten der Polen durch die Empörung verwirkt,
und ihm allein stand es zu, einen neuen Rechtszustand anzubefehlen.
Einige der Aufständischen mußten am Galgen, viele in Sibirien büßen;
die Verfassung ward vernichtet, das Heer und die Universität aufgehoben,
das herrliche Schloß der Czartoryskis in Pulawy seiner Kunstschätze be-
raubt. Polnische Orden belohnten die Sieger für die Vernichtung der
polnischen Unabhängigkeit, auf dem Hauptplatze Warschaus erhob sich ein
Obelisk zu Ehren der im November ermordeten Generale. Seit dem
Organischen Statut vom Februar 1832 war das Land nur noch eine
russische Provinz mit eigener Verwaltung und Rechtspflege. Hatten die
Polen ihre konstitutionellen Rechte nur zu Ränken und Verschwörungen
mißbraucht, so erwies sich die neue Ordnung fast noch unheilvoller, sie
konnte allein durch einen beständigen Belagerungszustand aufrecht erhalten
*) Metternich an Maltzahn, 14. Sept. Protokoll über die Verhandlungen
zwischen Metternich, Maltzahn, Tatistschew 6. Oktober. Weisungen an Maltzahn
27. September, 13. Oktober 1831.