Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

90 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
angegriffenen Teile; nachher wurde unter der Oberaufsicht von Kommis- 
saren der Schutzmächte die völlig zerrüttete bürgerliche Ordnung in dem 
kleinen Staate notdürftig wiederhergestellt.-) 
Der verblendete Trotz der Polen bewirkte indessen, daß die erweiterte 
Amnestie ihnen wenig Vorteil brachte. Die einen wollten den Ver- 
heißungen des erzürnten Zaren keinen Glauben schenken, andere bauten 
noch immer auf die leeren Verheißungen Lafayettes und hofften über 
kurz oder lang mit Hilfe der französischen Radikalen den allgemeinen 
Umsturz herbeizuführen. Diese Fanatiker, allen voran der nach Dresden 
geflüchtete tapfere General Bem, übten die Künste des allen Polen ge- 
läufigen Parteiterrorismus mit solchem Erfolge, daß die Mehrzahl der 
Harmlosen eingeschüchtert und die Heimkehr von den Offizieren bald als 
Verrat angesehen wurde. Tausende freiwilliger Auswanderer, die sich 
fälschlich für Verbannte ausgaben, überschwemmten Westeuropa; sie ver- 
schmähten daheim friedlich für ihr Vaterland zu arbeiten, was den meisten 
straflos gestattet war, und verfielen dem schlechten Handwerke der Ver- 
schwörer. Die tragische Schuld der Teilungen Polens suchte den Welt- 
teil mit immer neuen Leiden heim. Die polnische Emigration ward ein 
Fluch Europas, ein Herd des Unfriedens, wie die preußische Regierung 
vorausgesagt. Zwei Jahrzehnte hindurch bildeten die polnischen Flüchtlinge 
die verbindende Kette zwischen den radikalen Parteien aller Länder; sie 
schürten jeden Aufruhr und fochten auf jeder Barrikade. 
Zar Nikolaus aber blieb fortan neben Metternich der verhaßteste 
Mann Europas. Er verdankte diesen Ruf zum Teil den ungeheuer- 
lichen Märchen der polnischen Flüchtlinge, mehr noch dem harten Straf- 
gerichte, das er über die Unterworfenen verhängte. Nach seiner Über- 
zeugung waren alle Freiheiten der Polen durch die Empörung verwirkt, 
und ihm allein stand es zu, einen neuen Rechtszustand anzubefehlen. 
Einige der Aufständischen mußten am Galgen, viele in Sibirien büßen; 
die Verfassung ward vernichtet, das Heer und die Universität aufgehoben, 
das herrliche Schloß der Czartoryskis in Pulawy seiner Kunstschätze be- 
raubt. Polnische Orden belohnten die Sieger für die Vernichtung der 
polnischen Unabhängigkeit, auf dem Hauptplatze Warschaus erhob sich ein 
Obelisk zu Ehren der im November ermordeten Generale. Seit dem 
Organischen Statut vom Februar 1832 war das Land nur noch eine 
russische Provinz mit eigener Verwaltung und Rechtspflege. Hatten die 
Polen ihre konstitutionellen Rechte nur zu Ränken und Verschwörungen 
mißbraucht, so erwies sich die neue Ordnung fast noch unheilvoller, sie 
konnte allein durch einen beständigen Belagerungszustand aufrecht erhalten 
  
*) Metternich an Maltzahn, 14. Sept. Protokoll über die Verhandlungen 
zwischen Metternich, Maltzahn, Tatistschew 6. Oktober. Weisungen an Maltzahn 
27. September, 13. Oktober 1831.
	        
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